Finanzen: Lage der Kommunen spitzt sich zu

Gütersloh – Die finanzielle Lage vieler Kommunen in Deutschland spitzt sich dramatisch zu. In den Jahren 2007 bis 2011 ist die Gesamtverschuldung der Städte und Gemeinden von 111 auf 130 Milliarden Euro gestiegen. Das eigentlich Bedrohliche daran: Für diesen Anstieg sind überwiegend höhere Kassenkredite verantwortlich. Diesen Krediten stehen keinerlei Werte oder Investitionen gegenüber. Das geht aus dem Kommunalen Finanzreport 2013 der Bertelsmann Stiftung hervor. „Die Spaltung in reiche und arme Kommunen vertieft sich. Viele Städte scheinen in einer Abwärtsspirale aus Überschuldung, Abwanderung und sinkender Attraktivität gefangen“, sagte Kirsten Witte, Kommunalexpertin der Stiftung. Die Bertelsmann Stiftung spricht sich deshalb dafür aus, ähnlich wie für die Landeshaushalte auch für Kommunen eine Schuldenbremse zu erlassen.

Die Höhe der Kassenkredite ist rasant gewachsen: 2007 machten die Kassenkredite mit 29 Milliarden Euro ein Viertel der kommunalen Gesamtschulden aus. Bis Ende 2011 sind die Kassenkredite um über die Hälfte auf 44 Milliarden Euro angestiegen, was knapp 34 Prozent der Gesamtverschuldung bedeutet. Kassenkredite gelten als Kern der kommunalen Finanzkrise, weil sie ausschließlich der Liquiditätssicherung dienen. Sie wurden zum Symbol der zunehmenden Handlungsunfähigkeit der Städte und Gemeinden, da mit steigenden Kassenkrediten auch der Raum für Investitionskredite und damit Bau und Instandhaltung von Straßen, Schulgebäuden und sonstiger städtischer Infrastruktur enger wird.

„Zudem schwebt neben dem vorhersehbaren Anstieg der Pensionslasten eine mögliche Erhöhung des Zinsniveaus wie ein Damoklesschwert über den Kommunen“, sagte René Geißler, Finanzexperte und Mitverfasser der Studie. Derzeit profitieren die verschuldeten Städte und Gemeinden von den äußerst niedrigen Zinsen. „Das Zinsniveau des Jahres 2001 zu Grunde gelegt, wären die Zinsausgaben jährlich 2,5 Mrd. Euro höher als heute. Das Defizit in den kommunalen Haushalten hätte sich fast verdoppelt“, so Geißler.

Die Kassenlage der Kommunen unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland erheblich. In Sachsen – das einzige Bundesland, dessen Kommunen die Kassenkredite zwischen 2007 und 2011 spürbar reduzieren konnten – beträgt die kommunale Verschuldung durch Kassenkredite 13 Euro pro Einwohner. Am anderen Ende der Skala befindet sich das Saarland: Dort liegt die Pro-Kopf-Verschuldung mit Kassenkrediten bei 1.754 Euro. „Die Schere geht weiter auseinander“, sagte Geißler. Während die Kommunen in Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen neue Kredite fast ausschließlich für Investitionen aufnehmen, wachsen im Saarland, in Nordrhein-Westfalen, Hessen und in Rheinland-Pfalz die kommunalen Kassenkredite stetig. Mit Folgen: In Nordrhein-Westfalen und dem Saarland etwa liegen die kommunalen Bauausgaben mittlerweile ein Drittel unter dem Bundesdurchschnitt.

Die Unterschiede zwischen den Bundesländern spiegelt auch das Verhältnis zwischen Schulden und Finanzvermögen, das im Wesentlichen aus Bareinlagen und Anteilsrechten an Beteiligungen besteht: Einzig in Baden-Württemberg übersteigt das Finanzvermögen der Kommunen das Volumen der Kredite. Besonders ungesund ist das Verhältnis im Saarland, wo die Verschuldung mehr als neun Mal höher als das Finanzvermögen ist.

Diese regionale Konzentration der „schlechten Schulden“ bestätigt sich beim Blick auf die Städte, die besonders hoch verschuldet sind. Mehr als die Hälfte der gesamten Kassenkredite deutscher Kommunen entfällt 2011 auf nur 30 Städte und Landkreise. Von denen liegen 19 in Nordrhein-Westfalen – und keine in einem der östlichen Bundesländer. Die Stadt Essen ist durch Kassenkredite (2,16 Milliarden Euro) mehr als drei Mal höher verschuldet als alle bayerischen, sächsischen und baden-württembergischen Kommunen zusammen. Auch Städte wie Oberhausen, Pirmasens und Kaiserslautern (6.870, 6.215, 6.040 Euro pro Einwohner) haben eine sehr hohe Schuldenlast durch Kassenkredite.

Ein Abbau der Kreditbelastung ist für die hoch verschuldeten und oftmals schrumpfenden Kommunen allein kaum möglich, so der Finanzreport. „Aus der Spirale sinkender Handlungsfähigkeit und wachsender sozialer Probleme führt nur ein gemeinsamer Kraftakt von Bund, Ländern, Kommunen und Bürgern“, sagte Kirsten Witte. Einiges sei auf den Weg gebracht. So habe der Bund die Kommunen bei den Sozialausgaben spürbar entlastet. Sieben Bundesländer haben Entschuldungsfonds aufgelegt. Darüber hinaus fordert der Finanzreport, die kommunalen Haushaltsnöte auch in der anstehenden Neuverhandlung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zu berücksichtigen.

Um zu verhindern, dass bislang stabile Kommunen in die Verschuldung abrutschen, empfiehlt der Finanzreport der Bertelsmann Stiftung eine kommunale Schuldenbremse in den Kommunalverfassungen zu verankern. Damit würden die Kommunen auch verpflichtet, eigene Einnahmepotenziale auszuschöpfen. Dazu zählen die Steuern, deren Höhe die Kommunen selbst festlegen können, etwa Grund- und Gewerbesteuer. Bislang ist das Niveau dieser Kommunalsteuern von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. Die kaum verschuldeten sächsischen Kommunen etwa erheben überdurchschnittliche Hebesätze auf die Grundsteuer B, während das Niveau in Hessen und Rheinland-Pfalz unterdurchschnittlich ist. „Steuererhöhungen sind politisch unbequem, aber lang-jähriger Einnahmeverzicht verschärft die Haushaltskrise“, so Geißler.

Auf Kritik stößt im Finanzreport, dass ein immer höherer Teil der kommunalen Schulden sich nicht mehr im Haushalt findet, folglich für den Bürger nur schwer sichtbar wird. Nahezu 60 Prozent ihrer Schulden haben die Kommunen inzwischen ausgelagert – etwa in Beteiligungen an Unternehmen für Versorgung oder Wohnungswirtschaft. „In der Auslagerung stecken Chancen und Risiken, in jedem Fall aber schrumpft die Transparenz für Politik, Bürger und Aufsicht“, sagte René Geißler.

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