Carneys Worte, Kommentar zur Bank of England von Andreas Hippin

Britisches Pfund
Wieder einmal haben sich die Marktteilnehmer von Mark Carney in die Irre führen lassen. Schon vor einiger Zeit wurde der Gouverneur der Bank of England wegen seiner widersprüchlichen Aussagen mit einem unzuverlässigen Liebhaber verglichen. Vor dem EU-Referendum malte er die Folgen eines Votums für den Austritt in den düstersten Farben: ein starker Preisauftrieb und – gegen jede Vernunft – steigende Zinsen. Das brachte ihm den Vorwurf ein, sich von den Befürwortern eines Verbleibs in der Staatengemeinschaft vor den Karren spannen zu lassen. Seine Zurückhaltung dabei, Abgeordneten nach der Volksabstimmung Einblick in seinen Schriftverkehr mit Schatzkanzler George Osborne zu gewähren, wirkte nicht gerade vertrauensbildend.

Kurz nach der Entscheidung für den Brexit stellte er – entgegen seiner vorherigen Warnungen – eine weitere Lockerung der Geldpolitik in Aussicht. Bis zur Sitzung des geldpolitischen Komitees der Notenbank wollte er damit nicht warten und setzte das Gremium mit seinen Äußerungen unter Zugzwang. Prompt rechneten zwei Drittel der Volkswirte mit einer Senkung des Leitzinses um mindestens 25 Basispunkte. Auch eine Wiederaufnahme des Anleihenkaufprogramms wurde für möglich gehalten. Zuvor waren die Ökonomen noch mehrheitlich der Ansicht gewesen, dass es bei der Sitzung im Juli zu keinen Änderungen kommen würde. Kam es schließlich auch nicht. Erneut verlor, wer Carneys Worte für bare Münze nahm.

Den Briten blieb eine reflexhafte Zinssenkung erspart, die der großen Mehrheit der Bevölkerung Nachteile gebracht hätte – etwa in Form steigender Häuserpreise und Mieten sowie wachsender schwarzer Löcher in den Pensionskassen. Bis auf Stimmungsindikatoren gibt es seit dem Tag der Volksabstimmung noch keine Konjunkturdaten, aus denen man auf den Zustand der Volkswirtschaft schließen könnte. Auf dieser Grundlage die seit Beginn der Finanzkrise anhaltende Notstandsgeldpolitik noch weiter zu verschärfen, wäre in hohem Maße verantwortungslos gewesen.

Die Aussage, dass eine Mehrheit der Mitglieder des Komitees eine Lockerung im August erwarte, milderte die Irritationen über die ausgebliebene Lockerung. Nach dem Abtritt seines Schutzpatrons George Osborne wird der Druck auf Carney zunehmen. Selten gab es so viel öffentliche Kritik von ehemaligen Geldpolitikern und Volkswirten. Wäre Kontinuität im derzeitigen Umfeld nicht von größter Bedeutung, hätte die Ära Carney wohl schon ihr Ende gefunden.

Quelle: Börsen-Zeitung

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