Grüne wollen bei Hausbesetzungen nachsichtiger sein

Bei den Grünen mehren sich die Stimmen, auf Hausbesetzungen differenzierter zu reagieren als zuletzt und dabei nachsichtiger zu sein. „Natürlich war das ein Rechtsbruch. Aber jeder ziviler Ungehorsam geht mit Rechtsbruch einher“, sagte der ehemalige Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin der „Berliner Zeitung“ (Samstagsausgabe) mit Blick auf die Besetzung in Berlin-Neukölln an Pfingsten.

„Die Grünen waren in ihrer Geschichte immer eine Partei des gewaltfreien zivilen Ungehorsams. Von daher fand ich die Debatte ein bisschen geschichtsvergessen.“ Der Bundestags-Finanzexperte Gerhard Schick sagte dem Blatt: „Ich habe Verständnis dafür, dass Menschen zum Ausdruck bringen wollen, dass hier etwas schiefläuft, weil es einfach zu wenig bezahlbaren Wohnraum gibt und dieser teilweise aus spekulativen Gründen leer steht.“ Der Parteivorsitzende Robert Habeck hatte zuvor der „Welt“ gesagt: „Da muss man nicht um den heißen Brei herum reden: Dass das Rechtsbruch ist, ist klar wie Kloßbrühe.“ Der einstige Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele konterte daraufhin, Habeck sei eben Schriftsteller und kein Jurist. „Wer verletzt mehr Recht – der, der ein Haus fünf Jahre lang leer stehen lässt, oder der, der durch eine Besetzung darauf hinweist?“, sagte Ströbele der Zeitung. Hausbesetzer hatten an Pfingsten mit mehreren Aktionen gegen überteuerten Wohnraum und Leerstand protestiert. Die Polizei sprach meist von „Scheinbesetzungen“, bei denen Transparente aus dem Fenster gehängt wurden. Sie räumte aber auch ein Haus in Neukölln, in dem sich vorübergehend Demonstranten aufhielten. Gegen 56 Personen wird seitdem wegen Hausfriedensbruchs und gegen sechs von ihnen zusätzlich wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte ermittelt. Unterdessen wächst auch der Druck innerhalb des rot-rot-grünen Berliner Senats. Die Berliner Linken-Vorsitzende Katina Schubert sagte der „Wir sollten Hausbesetzungen dann entkriminalisieren, wenn Häuser länger als ein Jahr leer stehen.“ Dies sei Forderung ihrer Partei auf Bundesebene seit 2014. Der Vorstand der Landespartei strebe jetzt an, diese Forderung in Berlin umzusetzen. Das richtet sich gegen die „Berliner Linie“, die seit 1981 Räumungen in den ersten 24 Stunden nach Beginn von Besetzungen vorsieht. „Wir sollten die Berliner Linie nicht so starr auslegen“, mahnte Schubert. Mit dieser Haltung werde man in die Sitzung des Koalitionsausschusses in der kommenden Woche gehen. Die Linke beklagt überdies, dass Innensenator Andreas Geisel (SPD) eine Verhandlungslösung in Neukölln verhindert habe. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) unterstützt ihn. Grünen-Landeschef Werner Graf erklärte: „Wir verschließen uns da keiner Debatte. Wichtiger wäre aber, die Gesetze zu ändern und Besetzungen bei spekulativem Leerstand im Zweifel zu dulden. Das ist zentraler als die Debatte über die Berliner Linie.“ Er verwies darauf, dass der Senat das Zweckentfremdungsgebot bereits deutlich verschärft habe und spekulativer Leerstand nach Hauptstadtrecht längst Rechtsbruch sei; die Bezirke müssten dem nur nachgehen.

Foto: Plakat von Gentrifizierungsgegnern in Berlin, über dts Nachrichtenagentur

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