Siemens

Hopp oder Top, Kommentar zu Siemens von Michael Flämig

So ein Vorstandsvorsitzender kriegt jede Menge Mails. Bei Siemens-Chef Joe Kaeser ist zuweilen auch mal eine Mahnung der hauseigenen zentralen Abrechnungsstelle darunter, wie er anlässlich der Jahrespressekonferenz zu erzählen wusste. „Sehr geehrter Herr Joe“, konnte der oberste Konzernlenker beispielsweise in einem Schreiben der Einheit Shared Services lesen. Er habe seine Reisekosten nicht richtig abgerechnet, es fehlten Belege. Wenn er diese nicht innerhalb von zwei Tagen nachreiche, werde man die Vorgesetzten informieren.

Kaeser hätte sich entspannt zurücklehnen können, schließlich kann man bezweifeln, dass ein Aufsichtsratschef sich um Reisekostenbelege kümmern will. Für den Siemens-Chef ist die Geschichte jedoch mehr als eine Anekdote, denn sie illustriert aus seiner Sicht, dass Leute in zentralen Funktionen fleißig und effizient arbeiteten, aber zuweilen der Geschäftsbezug fehle. Tatsächlich mag dieses Manko im Fall der Mahnung nur putzig sein. Andere Vorgänge aber können den operativen Betrieb lähmen oder irreleiten.

Kaeser will sich in Zukunft gegen Skaleneffekte und für den Geschäftsbezug entscheiden. Er strebt eine Unternehmensform moderner Prägung an, wie er es wolkig formuliert. Diese umfasst den forcierten Gang an die Börse, doch wird es damit nicht getan sein. Das Konzept soll auch für jene Aktivitäten, die Kerngeschäft bleiben, eine bedarfsgerecht agierende Service-Zentrale kreieren. Man darf gespannt sein, ob dies völlig neue Zuordnungen erfordert. Wer Projektgeschäft macht, will schließlich andere Unterstützung als ein Software-Verkäufer.

Während Konkurrent General Electric mit Großputz und Schadensbegrenzung beschäftigt ist, eilt Siemens strategisch davon. Das Problem: Erst im nächsten Jahr wird Kaeser sein Konzept vorstellen. Frühestens in einigen Jahren wird dann ein Erfolg nachzuweisen oder ein Misserfolg zu beobachten sein. Derweil herrscht Unsicherheit, inwieweit Probleme wie bei Siemens Gamesa nur hausgemacht sind. Der Aktienkurs-Absturz von Konkurrent Vestas um 18% am Donnerstag zeigt, dass die Schwierigkeiten in diesem Fall die gesamte Branche erfasst haben.

Wenn Kaeser eine überzeugende Unternehmensform findet, kreiert er die aktuell spannendste Story am deutschen Kapitalmarkt. Wenn es schiefgeht, ist dies das Ende von Siemens. Ob es eine fantastische Story wird oder nur eine Fantasten-Story, ist noch lange nicht entschieden. Die Unsicherheit wächst angesichts der zahlreichen Börsenprojekte von Siemens. Aktionäre lieben Fantasie, aber nicht übermäßige Risiken.

Quelle: Börsen-Zeitung

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert