Persilschein für die EZB, Kommentar zum Europäischen Gerichtshof

Die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB) ist ein hohes Gut – so „hoch“, dass diese Institution in europäischen Kreisen offenbar über alle Kritik erhaben scheint. Eine Kontrolle ihrer Handlungen gibt es faktisch nicht. Denn der Europäische Gerichtshof (EuGH), der hierzu rechtlich in der Pflicht wäre, stellt den Notenbankern regelmäßig einen Persilschein aus. Darauf läuft es wohl auch im jüngsten Verfahren über die Rechtmäßigkeit der Staatsanleihekäufe hinaus.

Die Verfassungskläger gegen die unkonventionelle EZB-Politik sehen hierin einen Verstoß gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung, einen Fehlanreiz für die Haushaltspolitik, und sorgen sich um das Budgetrecht der Parlamente. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu dem EuGH Fragen vorgelegt und erkennen lassen, dass es den EZB-Kurs selber sehr kritisch sieht. Doch Melchior Wathelet, der Generalanwalt des EuGH, sieht in seinem Plädoyer keine Verfehlung der EZB, übernimmt sogar deren Argumentation und schlägt den deutschen Richtern vor, die Klage abzuschmettern.

Natürlich wirkt jede Art der Geldpolitik über die Beeinflussung der Zinsen auf die nationale Haushaltspolitik durch. Aber der Kauf von Staatsanleihen schlägt hier aus der Reihe, weil er die Staatsfinanzierung direkt verbilligt. Und entgegen den Ausführungen des Anwalts hat dies stets Rückwirkungen auf das Verhalten der Haushaltspolitiker: Verschuldung wird günstiger, Konsolidierung weniger dringlich.

Dass die Defizite in der Eurozone seit kurzem geringer ausfallen, ist also nicht unbedingt der Sparpolitik zuzuschreiben, wie Wathelet behauptet, sondern vor allem den niedrigen Zinsen. Die Forderung der früheren Eurokrisenländer, die EZB solle die Kurswende hinauszögern, spricht Bände. Zudem wurden die Euro-Notenbanken durch ihr Handeln zu den größten Gläubigern der Eurostaaten. Das macht die Zentralbanker erpressbar und untergräbt ihre Unabhängigkeit. Und dass bislang keine Anleiheausfälle zu beklagen waren, ist noch kein Beleg für die vom Generalanwalt unterstellte Gefahrlosigkeit des EZB-Kurses für die Parlamentsrechte.

Wathelet vertraut allein auf die „Garantien“ der EZB: ihre Kaufobergrenzen und Qualitätsanforderungen. Doch es fehlt die ökonomische Folgenabschätzung. Die durch die EZB bewirkten Verhaltensänderungen und Marktverwerfungen zeigen sich erst mit Zeitverzug. In der nächsten Krise dürften die Kaufgrenzen dann nicht mehr zu halten sein und die EZB wird vollends zum Staatsfinanzierer. Um seine Kontrollpflicht zu erfüllen, müsste der EuGH daher stets die ganze Entwicklung berücksichtigen.

Quelle: Börsen-Zeitung

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