Politiker von Union, FDP und Grünen kritisieren Vorbereitung auf Jamaika-Bündnis

Erfahrene Politiker von CDU, CSU, FDP und Grünen haben die Vorbereitung ihrer Partei auf ein Jamaika-Bündnis kritisiert. Vor allem die bereits erfolgte Definition roter Linien durch alle zukünftigen Partner erachten sie als wenig hilfreich: „Das ist unprofessionell und führt im Zweifel dazu, dass es am Ende mehr um Gesichtswahrung geht als um die Inhalte oder gar um einen Aufbruch“, sagte Hamburgs ehemaliger Erster Bürgermeister Ole von Beust (CDU) der „Welt“ (Mittwoch). Man dürfe rote Linien im Hinterkopf haben, aber man sollte sie nicht draußen herumposaunen.

Am Mittwoch will die Union zuerst mit der FDP und dann mit den Grünen Chancen für Koalitionsverhandlungen ausloten. Ex-CSU-Chef Erwin Huber fordert von seiner Partei, die zuletzt als größte Skeptikerin eines solchen Bündnisses aufgetreten war, Kompromissbereitschaft: „In solchen Verhandlungen braucht es Geschick und Taktik, keine Ausschlusskriterien. Wir müssen kompromissfähig sein, denn der Kompromiss ist das Wesen der freien Gesellschaft und der Demokratie.“ Huber verlangt von der CSU eine selbstbewusste Haltung bei der Verteilung der Ressorts: „Die CSU-Forderung wird sein: so viele Ministerien wie möglich und so wichtige wie möglich.“ Zudem erwartet er schwierige Verhandlungen, zu denen es aber keine Alternative gebe. „Wir sind zum Erfolg verdammt“, sagte Huber der „Welt“. Die frühere Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) fürchtet, dass wegen der roten Linien wenig Raum für Kompromisse bleibt. Sie rät ihrer Partei zur Übernahme konkreter Ressorts. Dazu gehöre ein Ministerium für Digitalisierung, dass bisher verstreute Kompetenzen bündle. „Und um ein klares Bürgerrechtsprofil gewinnen zu können, müsste man das Innen- oder Justizressort übernehmen“, erklärte Leutheusser-Schnarrenberger der „Welt“. Der Grüne Volker Beck fordert vor allem einen anderen Umgang miteinander: „Zur Vertrauensbildung sollten zuallererst die gegenseitigen Beschimpfungen aufhören. Nur so können daraus tragfähige Koalitionsverhandlungen werden, auf denen man dann eine gemeinsame Regierungsarbeit aufbaut.“ Aus Sicht von Beusts müsse seine Partei den Schwerpunkt auf die Wirtschaftspolitik legen: „Mit allem, was dazugehört – Industriepolitik, Energiepolitik, Infrastruktur“. Die Union sei trotz aller Rechts-links-Debatten zuallererst die Partei mit Wirtschafts- und Innovationskompetenz. Huber reklamiert den Bereich Sicherheit und Zuwanderung für die CSU, sieht aber ihre Domäne auch in der Sozialpolitik: „Der Arbeitsmarkt muss besser geordnet, Befristungen müssen reduziert werden. Das Renten- und das Sozialrecht müssen besser verzahnt werden.“ Diese Sicht vertritt auch Beck – mit Abstrichen: „Die sozialen Sicherungssysteme sind, auch wegen der Beschlüsse der vergangenen Koalition, nicht zukunftsfest.“ Umsetzen will er dies mit einer Bürgerversicherung, die allerdings alle übrigen Parteien ablehnen. Die FDP will mit einer Steuerpolitik eine „wirksame Entlastung der Bürger“. Einig waren sich alle Politiker, dass man vor den Verhandlungen keine roten Linien formulieren solle, da dies Kompromisse erschwere.

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