Weltunordnung – Kommentar zu Politik und Wirtschaft 2019

Der Blick auf das neue Jahr ist geprägt von den Enttäuschungen der zurückliegenden zwölf Monate und der Ahnung, dass – wirtschaftlich gesehen – die besten Jahre hinter uns liegen könnten. Eine Dekade des weltweiten wirtschaftlichen Aufschwungs scheint unweigerlich zu Ende zu gehen. Die fehlende Zuversicht spiegelt sich in den Jahresendständen der internationalen Aktienmärkte. Doch wir erleben gerade mehr als nur das Auslaufen eines Konjunkturzyklus und Börsenbooms. „Ende der alten Ordnung“, „Ende der Gewissheiten“ und „Grenzen des Wachstums“ sind deshalb die Themenbücher dieser Jahresschlussausgabe überschrieben.

Die Globalisierung, seit dem Fall des Eisernen Vorhangs für Jahrzehnte treibende Kraft der Weltwirtschaft, scheint an Dynamik zu verlieren. Und damit an Überzeugungskraft. Die internationale Arbeitsteilung wird nicht mehr per se als Gewinn für alle Beteiligten gesehen, sondern als Nullsummenspiel, in dem es Gewinner und Verlierer gibt. Prominentester Vertreter dieser Sichtweise ist US-Präsident Donald Trump, der die USA als Verlierer der Globalisierung ausgemacht hat und mit dem Schlachtruf „America first“ antwortet. In bilateralen Deals wähnt er die USA aufgrund ihrer Größe und Macht am längeren Hebel. Seither halten internationale Konflikte, zumal auf dem Gebiet des Handels, die Welt und auch die Finanzmärkte in Atem.

Selbst in Europa, über Jahrzehnte bewundert ob seines nicht nur friedlichen, sondern auch wirtschaftlich erfolgreichen Miteinanders, rückt das Nationale und damit das Trennende in den Vordergrund. Die Bereitschaft schwindet, verbindliche Regeln des Miteinanders nicht nur auszuhandeln, sondern sich auch daran zu halten. Nicht nur in Großbritannien, Italien oder Ungarn, sondern auch in Deutschland. Auch hierzulande trifft jeder Versuch, gemeinsame Lösungen mit Partnern zu finden, schnell auf Vorbehalte, oft auch auf Stimmungsmache – sei es gegen das Projekt eines transatlantischen Handelsabkommens, die Pläne für eine Verteilung von Flüchtlingen in Europa oder Hilfsprogramme innerhalb der Währungsunion.

So wenig sich aber Geschichte zurückdrehen lässt, so wenig hilft nationale Rückbesinnung bei der Lösung globaler Fragen. Eine noch nie da gewesene Interdependenz, die von der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen über Umweltzerstörungen und Cyberkriminalität bis zur Nutzung neuer Technologien wie künstlicher Intelligenz reicht, verlangt globale Antworten. Jahrzehntelang übernahmen die USA die Koordination dieser Antworten und die Sprecherrolle in der wachsenden Welt- und Wertegemeinschaft, die sich zur zwischenstaatlichen Kooperation, zu demokratischen Grundsätzen, liberalen Wirtschaftsordnungen und der Achtung nationaler und territorialer Souveränität bekannte.

Von dieser Rolle haben sich die USA unter Präsident Trump verabschiedet, und sie werden diese Rolle von der Völkergemeinschaft selbst unter einem anderen Präsidenten nicht mehr zugewiesen bekommen. Umso wichtiger wäre es, den internationalen Ordnungsrahmen aus Organisationen, Institutionen und Verträgen zu reformieren und zu stärken – vom UN-Sicherheitsrat über G20 bis zur WTO. Nur wenn die alte Ordnung durch eine neue Ordnung ersetzt wird, kann es gelingen, die Globalisierung für alle gewinnbringend zu gestalten. Denn die Globalisierung von morgen macht sich nicht an Stahlquoten oder Strafzöllen auf importierte Autos fest, sondern wird vom globalen Austausch von Daten bestimmt.

Quelle: Börsen-Zeitung

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