Steuervermeidung

Näher als die Cayman-Inseln, Kommentar zur Steuervermeidung von Detlef Fechtner

Steuervermeidung
Europas Wettbewerbshüter haben gestern eine belgische Steuerregelung für unzulässig erklärt. Das mag ziemlich langweilig klingen – zumal die EU-Kommission im Herbst bereits Beschlüsse gegen Steuerpraktiken in den Niederlanden und Luxemburg gefasst hat. Die gestrige Entscheidung ist also nicht die erste ihrer Art. Trotzdem ist sie äuߟerst bemerkenswert.

Erstens nämlich richtet sie sich gegen Regelungen, von denen vor allem europäische Industrieunternehmen profitiert haben. Bislang waren – abgesehen von Fiat Finance – nur Steuerdeals mit US-Konzernen im Blickfeld: Apple, Amazon, McDonald’s und Starbucks. In der öffentlichen Wahrnehmung erschien aggressive Steuervermeidung daher oft als Wesensmerkmal amerikanischer Unternehmenskultur. Mit diesem Vorurteil dürfte die EU-Kommission nun aufgeräumt haben.

Zweitens wirkt die gerüffelte Steuerpraxis in Belgien noch tolldreister als die beanstandeten Regelungen in den beiden anderen Benelux-Staaten. Denn belgische Finanzbeamte und Politiker haben sich nicht geniert, Firmen eine Aufteilung ihrer Gewinne in zwei künstliche Kategorien zu erlauben – in einerseits den Profit, den eine eigenständige Firma in vergleichbarer Lage erwirtschaftet hätte, und andererseits in einen „Mehrgewinn“. Und nur der erste Teil wird besteuert – selbst wenn er kleiner ist als der „Mehrgewinn“. In anderen Worten: Um Gewinne zu groߟen Teilen steuerfrei zu stellen, muss man gar nicht erst auf die Cayman-Inseln reisen. Die Karibik beginnt bereits hinter der Schelde. Denn fantastische Steuerrabatte sind auch in Antwerpen zu haben gewesen.

Drittens schlieߟlich steigt die Summe, um die es geht. Zwar sind die Nachzahlungen, die auf jeden einzelnen Konzern zukommen, noch überschaubar. Aber bei mehr als 30 Unternehmen läppert es sich. Der Gesamtbetrag von 700 Mill. Euro deutet jedenfalls darauf hin, dass es nicht nur um die Portokasse geht.

Die EU-Kommission macht daher unmissverständlich klar, dass es ihr ernst ist im Kampf gegen aggressive Steuervermeidung. EU-Kommissarin Margrethe Vestager betont, dass es auch um ein politisches Signal geht: „Ich hoffe, der Beschluss hilft, um das Momentum im Kampf gegen Steuervermeidung beizubehalten.“ Die Wahrscheinlichkeit, dass die EU-Behörde schon sehr bald eine Richtlinie oder Verordnung präsentiert, die künftig von allen Unternehmen einen länderspezifischen Gewinnausweis verlangt, ist mit dem gestrigen Beschluss gröߟer geworden. Damit werden die Schlupflöcher für Steuervermeider kleiner.

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