Für die Sozialdemokraten war es eigentlich eine klare Sache: Olaf Scholz sollte als Kanzlerkandidat in die nächste Bundestagswahl ziehen. Doch mittlerweile mehren sich innerhalb der Partei die Stimmen, die stattdessen Boris Pistorius als Spitzenkandidat sehen wollen. Der Verteidigungsminister hat in den letzten Monaten an Popularität gewonnen und gilt in Teilen der SPD als aussichtsreichere Alternative zu Scholz.
Der Machtkampf in der SPD
Hinter den Kulissen tobt ein Machtkampf um die Kanzlerkandidatur. Während Scholz nach wie vor das Vertrauen der Parteispitze genießt, formiert sich immer mehr Widerstand in den Reihen der Sozialdemokraten. Viele Funktionäre und Mandatsträger sehen in Pistorius den besseren Kandidaten, um bei der nächsten Bundestagswahl erfolgreich zu sein.
„Es gibt in der Partei eine wachsende Zahl von Stimmen, die Boris Pistorius für den geeigneteren Kandidaten halten“, erklärt der SPD-Bundestagsabgeordnete Max Müller. „Scholz hat zwar den Vorteil, dass er bereits Kanzler ist. Aber Pistorius hat in den letzten Monaten bewiesen, dass er ein sehr präsenter und durchsetzungsfähiger Politiker ist. Das kommt bei den Wählerinnen und Wählern gut an.“
Auch in den Landesverbänden der SPD wird intensiv über die Kandidatenfrage diskutiert. „In vielen Gesprächen mit Genossinnen und Genossen vor Ort spüre ich eine deutliche Tendenz zu Pistorius“, berichtet die Vorsitzende des SPD-Landesverbands Nordrhein-Westfalen, Andrea Schmidt. „Er hat in den letzten Monaten eine sehr starke Performance abgeliefert, gerade auch in Fragen der Verteidigungspolitik. Das verschafft ihm zusätzliche Aufmerksamkeit und Sympathien.“
Scholz‘ Stellung als Kanzlerkandidat wackelt
Für Scholz ist die Lage alles andere als einfach. Als amtierender Bundeskanzler genießt er zwar weiterhin großen Respekt in der Partei. Doch die wachsende Unterstützung für Pistorius stellt seine Position als Spitzenkandidat infrage.
„Olaf Scholz hat sicher viele Verdienste, aber in den letzten Monaten ist er doch ein Stück weit in die Defensive geraten“, analysiert der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Martin Weber von der Universität Köln. „Die Kritik an seiner Russland-Politik, an seinem Zögern in Fragen der Waffenlieferungen und auch an seiner zögerlichen Kommunikation haben ihm geschadet. Da gewinnt Pistorius im Vergleich deutlich an Boden.“
Hinzu kommt, dass Pistorius in Teilen der Bevölkerung deutlich populärer ist als Scholz. „In Umfragen liegt Pistorius bei den persönlichen Beliebtheitswerten klar vor Scholz“, erläutert Weber. „Das ist ein wichtiger Faktor, gerade mit Blick auf den Wahlkampf. Pistorius wird von vielen als authentischer und nahbarer wahrgenommen als der Kanzler.“
Pistorius gewinnt an Popularität
Boris Pistorius‘ Stern ist in den letzten Monaten tatsächlich merklich gestiegen. Der Verteidigungsminister hat sich mit seinem Auftreten und seinen Entscheidungen in der Ukraine-Krise profiliert und bei vielen Wählerinnen und Wählern Eindruck hinterlassen.
„Pistorius versteht es, komplexe Themen verständlich zu erklären und eine klare Haltung zu vertreten“, lobt der Politikwissenschaftler Weber. „Das kommt beim Publikum gut an. Er wirkt souverän, aber auch nahbar – und das ist genau das, was viele Bürger in diesen Zeiten von einem Spitzenpolitiker erwarten.“
Auch innerparteilich hat sich Pistorius in den letzten Monaten an Statur gewonnen. „Er hat sich als erfahrener Krisenmanager präsentiert und gleichzeitig seine sozialdemokratischen Wurzeln betont“, erklärt die SPD-Vorsitzende Andrea Schmidt. „Das verschafft ihm großen Rückhalt in der Partei. Viele sehen in ihm einen authentischen Vertreter sozialdemokratischer Werte, der aber auch die Stärke besitzt, in schwierigen Situationen Entscheidungen zu treffen.“
Pistorius selbst zeigt sich von den Spekulationen um eine mögliche Kanzlerkandidatur überrascht, aber auch geschmeichelt. „Ich bin in erster Linie Verteidigungsminister und habe mich in dieser Funktion voll und ganz der Aufgabe verschrieben“, betont er im Gespräch. „Ob ich irgendwann als Kanzlerkandidat antreten werde, lässt sich schwer vorhersagen. Im Moment konzentriere ich mich darauf, meine Arbeit gut zu machen.“
Unabhängig davon, wie sich die Personaldebatte in der SPD weiterentwickelt: Fest steht, dass Boris Pistorius in den letzten Monaten enorm an Statur gewonnen hat. Sein Stern scheint zu steigen – und das könnte auch Auswirkungen auf die Zukunft der Partei haben.
