Wirtschaftswachstum

Wirtschaftliches Wachstum ist in vielen Volkswirtschaften eines der Hauptziele staatlicher Wirtschaftspolitik. In Deutschland ist ein stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum neben einem außenwirtschaftlichen Gleichgewicht, niedriger Arbeitslosigkeit und Stabilität des Preisniveaus als Eckpunkt des „magischen Vierecks“ im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967 als Ziel der Wirtschaftspolitik verankert, § 1 Stabilitätsgesetz. „Stetiges“ Wirtschaftswachstum bedeutet, dass die kurzfristigen Konjunkturschwankungen um den langfristigen Wachstumspfad so weit wie möglich vermieden werden sollen. Rezessionen sollen durch staatliche Intervention abgeschwächt und Boomphasen durch Haushaltskonsolidierung eingeschränkt werden. Diese sogenannte antizyklische Wirtschaftspolitik wurde durch den Keynesianismus geprägt. Das hat allerdings in der haushaltspolitischen Praxis bis heute nicht funktioniert.

Wirtschaftswachstum und Beschäftigungssicherung

Ein Wirtschaftswachstum wird von den meisten Ökonomen als notwendig angesehen, um eine Erhöhung der Arbeitslosenquote zu vermeiden oder diese zu verringern. Dies wird vor allem im Zusammenhang mit der sogenannten Beschäftigungsschwelle diskutiert. Diese versucht anzugeben, ab welchem Wirtschaftswachstum neue Stellen entstehen. Ursache für die Beschäftigungsschwelle sind Rationalisierungen, durch die Arbeitskräfte freigesetzt werden. Um diesen Abbau auszugleichen, muss (bei gleich bleibendem Arbeitsangebot) die Wirtschaft wachsen. Diese Annahmen beruhen auf dem Okunschen Gesetz. Arthur Melvin Okun untersuchte empirisch den Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Arbeitslosigkeit. Über die Phillips-Kurve können diese Werte unter bestimmten Voraussetzungen mit der Inflation verbunden werden. Die Beschäftigungsschwelle lag in Deutschland längere Zeit bei einem Wirtschaftswachstum von etwa 2 %. In der Folge sank sie auf 1 % im Jahre 2005. Das liegt jedoch immer noch über dem Durchschnitt der EU mit einem Produktivitätswachstum von 0,5 % im Jahr 2005. Durch die sogenannten Hartz-Reformen wird von den meisten Ökonomen ein Absinken der Beschäftigungsschwelle erwartet. Als Grund dafür wird angenommen, dass durch die Reform auch entstehende unattraktivere Stellen angenommen werden.

Wirtschaftliche Erholungsphasen führten zu einem in den 1990er Jahren als jobless recovery oder jobless growth genannten Effekt: Erholung und Wachstum ohne Schaffung neuer Arbeitsplätze. Erklärungsversuche beziehen Faktoren ein wie Automatisierung, Steigerung der Produktivität der Arbeitnehmer und Verlängerungen der tatsächlichen Arbeitszeiten. Bei der Interpretation der Verringerung von Arbeitslosenzahlen in wachsenden Wirtschaften müssen die Definitionen von Arbeitslosigkeit und Veränderungen der Methoden, Menschen in Arbeit zu bringen, berücksichtigt werden.

Moralische Wirkungen des Wirtschaftswachstums

Benjamin M. Friedman betont die weitreichende Bedeutung des Wirtschaftswachstums. Er argumentiert, dass Wirtschaftswachstum insbesondere in Entwicklungsländern neben der Anhebung des Lebensstandards politische und soziale Reformen fördert, wirtschaftliche Mobilität, Fairness und Toleranz ermöglicht und die Substanz der Demokratie bildet. Beispielsweise seien in den USA in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation oder Schrumpfung (1880er-, 1890er-, 1920er-Jahre und nach der Ölkrise) vermehrt negative Einstellungen bezüglich Immigration sowie verstärkte rassistische und religiöse Vorurteile aufgetreten, während die Großzügigkeit gegenüber den Armen und die Stärke der Demokratie in diesen Zeiten abgenommen hätten. Friedman hält es für unzutreffend, zwischen moralischem und materiellem Fortschritt einen Zielkonflikt zu sehen.

Von der Wachstumsideologie zum Postwachstum

Die positive Einstellung gegenüber Wachstum und Fortschritt wird auf die calvinistische Prädestinationslehre zurückgeführt, die den wirtschaftlichen Erfolg als Weg zu Gottes Liebe deklariert. In der frühmodernen Wirtschaftstheorie des Merkantilismus erkannte man das Wirtschaftswachstum als Ausdruck für politische Macht: Technik und Gewerbe wurden gefördert und gewannen an sozialer Achtung. In der anschließenden Epoche der Industrialisierung entstand die moderne „Wachstumsideologie“: Unbegrenztes Wirtschaftswachstum wurde zum zentralen Ziel aller wirtschaftstheoretischer Schulen, obwohl bereits Adam Smith (Begründer der klassischen Nationalökonomie) im 18. Jahrhundert nur glaubte, dass der Prozess wahrscheinlich nie zu einem Ende kommen würde.

Für Kritiker sind die Kennzeichen einer Ideologie immer noch vorhanden, denn Wachstum wird aufgrund der Tatsache, dass es in der Vergangenheit lange Zeit mit der Steigerung des Wohlstandes korrelierte, von den herrschenden Wirtschaftsmodellen und der Politik unreflektiert in die Zukunft projiziert. Diese Vorstellung wird beibehalten, obwohl mittlerweile anhaltende Massenarbeitslosigkeit, Finanzierungsprobleme der sozialen Sicherungssysteme, steigende Staatsverschuldung, stagnierende bzw. sogar zeitweise sinkende Masseneinkommen und zunehmende ökologische Probleme trotz Wachstum auftreten. Seit den 1970er Jahren ist eine Abkopplung der Wohlstandsentwicklung vom Wachstum des Sozialprodukts zu beobachten. Der Volkswirt Norbert Reuter plädiert daher für eine Abkehr von der überholten Wachstumsideologie hin zum Postwachstum als neuem wirtschaftlichen Leitbild: „Insofern ist in den reichen Industrieländern ein Verzicht auf weiteres Wachstum nicht notwendigerweise mit sinkendem Wohlstand verbunden. Die Hinweise mehren sich, daß möglicherweise sogar das Gegenteil der Fall ist.“

Video: Fed-Chef kritisert Trumps Zollpolitik - US-Präsident schlägt zurück

Video: Fed-Chef kritisert Trumps Zollpolitik – US-Präsident schlägt zurück

Nach Warnungen von Fed-Chef Jerome Powell vor höheren Preisen und niedrigerem Wirtschaftswachstum durch die von der US-Regierung verhängten Zölle hat Präsident Donald Trump den Notenbanker scharf angegriffen. Powell werde „sehr schnell“ weg sein von seinem Posten, wenn er es verlange, sagte Trump in Washington.

Video: US-Aktienmärkte stürzen nach der Einführung von Trumps Zöllen weiter ab

Video: US-Aktienmärkte stürzen nach der Einführung von Trumps Zöllen weiter ab

Die US-Aktienfutures fielen bisher deutlich und setzten damit einen massiven zweitägigen Ausverkauf fort, der mehr als 5,4 Billionen Dollar an Marktwert vernichtete.  Der S&P 500 nähert sich dem Bereich eines Baissemarktes, während der Dow im Futures-Handel um 1.250 Punkte fiel. Der Nasdaq fiel um 4,6 %, und die asiatischen Märkte folgten diesem Beispiel, der japanische

Video: Studie: Insolvenzen steigen 2025 weiter

Video: Studie: Insolvenzen steigen 2025 weiter

Der Kreditversicherer Allianz Trade rechnet mit zunehmenden Unternehmensinsolvenzen – in Deutschland und weltweit. In ihrer Studie »Globale Insolvenzen in Zeiten von Kriegswirtschaft« rechnen die Autoren dieses Jahr mit 24.300 Insolvenzen in Deutschland, was im Vorjahresvergleich einem Plus von etwa zehn Prozent entspricht. Die Studienautoren begründen die Prognose mit dem zu erwartenden schwachen Wirtschaftswachstum Deutschlands, Strukturherausforderungen

"Unmöglich": US-Zölle treffen kleine Unternehmen

„Unmöglich“: US-Zölle treffen kleine Unternehmen

Die Wirtschaftspolitik des US-Präsidenten Donald Trump, insbesondere seine Zollpolitik, hat weitreichende Folgen für die amerikanische Wirtschaft. Besonders betroffen sind dabei kleine und mittelständische Unternehmen, wie das Beispiel der Port City Brauerei im US-Bundesstaat Virginia zeigt . Auswirkungen auf die Port City Brauerei Die Port City Brauerei, eine der ältesten Brauereien im Großraum Washington D.C. spürt

Förderprogramm für mehr Fachkräfte

Förderprogramm für mehr Fachkräfte

Die Region Schwaben in Deutschland ist wirtschaftlich sehr erfolgreich, aber das Wachstum wird durch den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften behindert. Die Agentur für Arbeit setzt auf eine Weiterbildungsoffensive, um die Qualifikation der bestehenden Arbeitskräfte zu verbessern, aber dies reicht nicht aus, um den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften zu decken. Die Zuwanderung aus dem Ausland ist

Trump: 25-Prozent-Zölle auf EU-Waren

Trump: 25-Prozent-Zölle auf EU-Waren

US-Präsident Donald Trump hat erneut für Aufruhr in den internationalen Handelsbeziehungen gesorgt. In einer überraschenden Ankündigung erklärte er die Absicht, Zölle in Höhe von 25 Prozent auf Importe aus der Europäischen Union zu erheben. Diese Maßnahme würde eine drastische Verschärfung der bereits angespannten Handelsbeziehungen zwischen den USA und der EU bedeuten. Hintergründe der Entscheidung Trumps

Wirtschaft kompakt: Goldpreis im Aufschwung

Wirtschaft kompakt: Goldpreis im Aufschwung

Die österreichische Wirtschaft steht vor großen Herausforderungen. Wie Wirtschaftsexperte Niko Jilch im Interview mit Puls 24 erläutert, befindet sich die Industrieproduktion im freien Fall. Diese Entwicklung ist besorgniserregend, da die Industrie traditionell als Rückgrat der österreichischen Wirtschaft gilt. Der Rückgang der Produktion könnte weitreichende Folgen für den Arbeitsmarkt und das Wirtschaftswachstum haben. Steigende Konkurszahlen Ein

Agenda 2030: Friedrich Merz' Vision für Deutschlands Zukunft

Agenda 2030: Friedrich Merz‘ Vision für Deutschlands Zukunft

Friedrich Merz, der Vorsitzende der CDU, hat kürzlich seine Pläne für die Zukunft Deutschlands vorgestellt. Unter dem Titel „Agenda 2030“ will er ein jährliches Wirtschaftswachstum von zwei Prozent erreichen. Dieses Wachstumsziel soll zum einen die gesamtwirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands stärken, zum anderen aber auch den Bürgern zugutekommen. Merz geht davon aus, dass zwei Prozent Wachstum pro

Nach oben scrollen