Zahl der Firmenpleiten steigt zweistellig

Zahl der Firmenpleiten steigt zweistellig


Die Zahl der Firmenpleiten in Deutschland steigt weiter zweistellig. Für November zählt das Statistische Bundesamt anhand vorläufiger Daten 12,6 Prozent mehr angemeldete Insolvenzverfahren als ein Jahr zuvor. Mit Ausnahme des Juni 2024 war die Zuwachsrate seit Juni 2023 zweistellig. Ob alle Fälle von den Insolvenzgerichten tatsächlich so weit gebracht werden, dass sie dann in die amtliche Statistik eingehen, ist noch offen.

Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform rechnet bis zum Ende des laufenden Jahres mit 22.400 Unternehmensinsolvenzen in Deutschland. Das wäre der höchste Stand seit 2015. Im kommenden Jahr könnten die Zahlen demnach den Höchststand des Krisenjahres 2009 mit mehr als 32.000 Fällen erreichen. „Die Wirtschaftskrise hinterlässt weiterhin tiefe Spuren“, sagte dazu der Mittelstandsexperte der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Marc Evers. „Immer mehr Unternehmen müssen ihre Tore schließen.“

Gründe für den Anstieg der Insolvenzen

Die Ursachen für den dramatischen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen sind vielfältig. Ein wesentlicher Faktor ist die anhaltende Konjunkturschwäche, die vor allem energieintensive Branchen wie die Industrie, das Baugewerbe und den Einzelhandel belastet. Die hohen Energiepreise, die stark gestiegenen Lohnkosten und die schwache Nachfrage haben die Gewinnmargen vieler Betriebe unter Druck gesetzt. 

Hinzu kommen strukturelle Herausforderungen wie der Fachkräftemangel, Lieferengpässe und die Digitalisierung, die für viele Unternehmen eine große Hürde darstellen. Gerade kleine und mittlere Betriebe sind oft nicht in der Lage, schnell genug auf diese Veränderungen zu reagieren. Sie fehlt häufig das Kapital und die Expertise, um die nötigen Investitionen zu tätigen und sich neu auszurichten.

Zudem belasten steigende Zinsen und eine restriktivere Kreditvergabe durch die Banken viele Unternehmen zusätzlich. In einem schwierigen konjunkturellen Umfeld werden Kredite für Investitionen oder zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen deutlich schwerer zu bekommen. Das trifft vor allem Betriebe, die ohnehin schon unter hoher Verschuldung leiden.

Dramatische Folgen für den Arbeitsmarkt

Die zunehmenden Insolvenzen haben dramatische Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Allein in den ersten elf Monaten dieses Jahres waren laut Statistischem Bundesamt rund 240.000 Arbeitnehmer von Firmenpleiten betroffen. Und das Ende der Fahnenstange ist noch lange nicht erreicht.

„Wir erwarten, dass die Zahl der Arbeitslosen im Laufe des nächsten Jahres deutlich steigen wird“, sagt Enzo Angelino, Arbeitsmarktexperte beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). „Vor allem in den Industriezweigen, im Handel und im Gastgewerbe werden viele Jobs verloren gehen.“

Besonders hart trifft es Regionen, in denen einzelne Branchen dominieren. So ist zum Beispiel der bayerische Maschinenbau, der traditionell ein wichtiger Arbeitgeber ist, derzeit massiv unter Druck. Zahlreiche Zulieferbetriebe mussten bereits Insolvenz anmelden. Die Folge sind hohe Arbeitslosenzahlen in den betroffenen Landkreisen.

Staatliche Hilfen kommen zu spät

Um die Auswirkungen der Wirtschaftskrise abzufedern, hat die Bundesregierung zwar diverse Hilfsprogramme aufgelegt. Dazu gehören zum Beispiel Energiepreisbremsen, Bürgschaften für Kredite und Steuerentlastungen. Doch diese Maßnahmen kommen aus Sicht vieler Experten zu spät und sind nicht zielgenau genug.

„Die Hilfen erreichen die betroffenen Unternehmen häufig erst dann, wenn es schon zu spät ist“, kritisiert Mittelstandsexperte Marc Evers von der DIHK. „Viele Betriebe brauchen eine schnelle, unbürokratische Unterstützung, um die akute Krise zu überbrücken.“

Zudem sei der Fokus der staatlichen Hilfen zu sehr auf energieintensive Branchen gerichtet. „Es gibt auch viele andere Unternehmen, die ebenfalls massiv unter Druck geraten sind und dringend Unterstützung benötigen“, so Evers weiter.

Strukturwandel beschleunigt sich

Die Insolvenzwelle führt auch zu einem beschleunigten Strukturwandel in der deutschen Wirtschaft. Ganze Branchen, die bislang als Stützen der Industrie galten, geraten ins Wanken. Der Wegfall dieser traditionellen Geschäftsmodelle eröffnet zwar Raum für Innovationen und neue Geschäftsfelder, birgt aber auch große Risiken.

„Wir erleben gerade einen tiefgreifenden Transformationsprozess, der viele Unternehmen überfordert“, sagt Ökonom Thomas Mayer vom Ifo-Institut. „Nicht alle schaffen es, sich rechtzeitig an die neuen Gegebenheiten anzupassen.“

Besonders betroffen sind laut Mayer Branchen wie der Maschinenbau, die Automobilzulieferer oder energieintensive Industriezweige. „Hier müssen wir uns auf einen massiven Strukturwandel einstellen, der viele Arbeitsplätze kosten wird.“

Regionale Unterschiede verschärfen sich

Die Insolvenzwelle trifft die einzelnen Regionen in Deutschland sehr unterschiedlich. Während manche Bundesländer wie Bayern oder Baden-Württemberg bislang einigermaßen glimpflich davongekommen sind, kämpfen andere Teile des Landes mit massiven Problemen.

So verzeichnet etwa Nordrhein-Westfalen überdurchschnittlich viele Firmenpleiten. Hier konzentrieren sich viele energieintensive Industriebetriebe, die besonders stark unter den hohen Energiekosten leiden. Aber auch strukturschwache Regionen wie das Ruhrgebiet oder Teile Ostdeutschlands sind stark betroffen.

„Die regionalen Disparitäten verschärfen sich zusehends“, warnt Arbeitsmarktexperte Enzo Angelino. „In manchen Gegenden droht eine regelrechte Pleitewelle mit schwerwiegenden Folgen für den Arbeitsmarkt.“

Dringender Handlungsbedarf für die Politik

Angesichts der dramatischen Entwicklung sehen Experten dringenden Handlungsbedarf für die Politik. „Die Bundesregierung muss jetzt schnell und zielgenau gegensteuern, um eine Eskalation der Krise zu verhindern“, fordert DIHK-Experte Marc Evers.

Dazu gehören aus seiner Sicht zum einen eine stärkere Unterstützung der betroffenen Unternehmen durch einfachere und unbürokratischere Hilfsangebote. Zum anderen brauche es aber auch Reformen, um die strukturellen Herausforderungen wie den Fachkräftemangel oder die Digitalisierung besser anzugehen.

„Wir müssen dringend die Weichen für eine wettbewerbsfähige und krisenfeste Wirtschaft stellen“, betont Evers. „Nur so können wir die Folgen der Insolvenzwelle auf Dauer abfedern.“

Auch der DGB-Experte Enzo Angelino sieht die Politik in der Verantwortung: „Es braucht ein Gesamtkonzept, das die Interessen von Unternehmen, Arbeitnehmern und Verbrauchern gleichermaßen berücksichtigt.“ Nur so lasse sich der drohende Arbeitsplatzabbau in betroffenen Regionen abmildern.

Für viele Betriebe kommt die Hilfe allerdings zu spät. Die Insolvenzwelle hat längst an Fahrt aufgenommen – und ein Ende ist vorerst nicht in Sicht.

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