Werbung darf nicht mehr nur Werbung, sondern muss ein Allroundtalent sein. Neben den klassischen Medien müssen natürlich digitale Formate beherrscht und aus soliden Werbeagenturen wahre Kommunikationsstrategen werden. Es scheint, als reiche es oft nicht mehr aus, das Produkt in einer Kampagne vorzustellen, die Vorteile zu erklären und das Ganze dann noch nach einem bestimmten Konzept zu ästhetisieren. Marken müssen jetzt greifbar, erlebbar und spürbar – schlicht emotionalisiert – werden, um den Markt zu erklimmen.
Neben diesen hohen Ansprüchen gibt es natürlich auch einen riesigen Dschungel an Möglichkeiten im Marketing: Wie wählt man die richtige Strategie im richtigen Zusammenhang aus? Wie findet man sich zurecht in der Komplexität und dem Reichtum an überbordenden Plattformen, auf denen Werbung vorkommen kann? In einer Unübersichtlichkeit, die gleichzeitig mit den Digital Natives aus dem Boden gesprießt ist und wo Innovation nichts Besonderes ist, sondern als Dauerzustand verlangt wird, scheinen Antworten auf diese Fragen weiter weg zu sein als je zuvor.
Branded Entertainment bietet Lösungen die die klassische Werbung nicht liefern kann. „BE ist zwar komplex in der Entwicklung aber sehr effektiv in der Wirkung“, so Matthias Alefeld, von der Mamedia aus München.
Home Sweet Home – Die Sehnsucht nach Emotionalität
Branded Entertainment ist so vielfältig, facettenreich, ausdifferenziert und verbreitet, dass sich eine ellenlange Liste von Beispielen damit schreiben ließe. Die folgenden Spots beschreiben nicht einfach nur ein Produkt, sondern versuchen mit der Einbettung in eine private (z.B. YouTube Kanäle) oder alltägliche (z.B. Reality TV-Shows) Situation eine Authentizität und Emotionalität zu verkaufen, nach der sich der Mensch als überforderter und vielfach mit Produkten zugeschütteter Konsument sehnt.
- Muffins backen auf YouTube bei Sallys Tortenwelt – natürlich nur mit der pinken Kitchen Aid.
- Beine rasieren bei moderatem Geläster im Badezimmer bei Germanys next Topmodel – natürlich nur mit dem neuen Venus Rasierer.
- Der Bachelorette in der Nacht der Rosen beim Säuseln und Flirten zuschauen – natürlich nur mit den neuen Naturals Chips.
Und so geht es weiter mit Melitta Kaffee bei „The Voice“, Freixenet bei „Grill den Henssler“, BMW und Nokia bei James Bond, der kleine süße Smart bei „Schlag den Raab“, supergeile Edeka-Produktexplosion bei der frechen Kochshow „Yumtamtam“, Abschminken in Bibis Beauty Palace mit Balea, Auto fahren lernen mit Horst Schlämmer im VW…
Wie funktioniert Branded Entertainment?
Diese Art der Werbung geht zu einhundert Prozent auf die vielfältigen Möglichkeiten ein, die das digitale Zeitalter bietet. Denn wie sollen sich die Kunden im Dschungel der überbordenden Produkte noch entscheiden? Wohin greift man, wenn alles die gleiche Qualität, dieselben Inhaltsstoffe und ein ähnliches Design zu haben scheint? Zu Balea oder zu Nivea?
Die Menschen möchten in einer Zeit, in der man sich über die Haltbarkeit dessen, womit man sich gerade noch identifiziert hat, nicht sicher sein kann, eine authentische und sympathische Bestätigung, eine Neuempfehlung oder schlicht eine „echte“ Bewertung eines Produktes. Denn, wenn eine Privatperson, die kein gecastetes Werbegesicht ist, in einer TV Show Messmer-Tee trinkt, wirkt das wie eine reale, nicht wie eine fiktive, extra als Werbung in der Pause gekennzeichnete Situation. Die Identifizierungsrate ist somit ungleich höher, was die Strategie von Branded Entertainment kennzeichnet.
Man erfindet keine Handlung zu einem Produkt, sondern bettet das Produkt in eine bereits bestehende Handlung, bei der das Produkt scheinbar unerlässlich ist, ein. Somit wird der Kunde auf einer emotionalen und nicht rein technischen Ebene angesprochen – was wirkt!
Branded Klementine damals
Das klingt etwas dramatisch und beängstigend, jetzt wo man sich doch gerade daran gewöhnt hat, Content Entertainment zu machen oder überhaupt zu verstehen, wo Grenzen und Möglichkeiten verlaufen. Bricht man es jedoch auf das Wesentliche herunter, dann geht es bei Branded Entertainment um kluge Produktplatzierung und unterhaltsame Werbung – auch wenn diese Begriffe vielleicht altmodisch klingen.
Und das ist keinesfalls ein neuer, schwer definierbarer Ansatz: Das gab es schon 1968, als die Klementine vom Waschsalon nebenan einige lustige Geschichten aus ihrem Wäscherinnenalltag vor der Kamera erzählte und wie nebenbei Ariel als das beste Pulver empfahl. Und heute?
YouTube – vom Hobbygag zur Influencer-Strategie
Das beste Beispiel bietet YouTube. Wo vor ein paar Jahren noch unbedarfte Mädchen den Kauf eines neuen T-Shirts bei H&M dokumentierten und dann darüber berichteten, wie man dieses „stylische Teil“ am besten in Szene setzt, sind diese, einst Privatpersonen mit wackliger Handkamera und schlechter Tonqualität heute zu professionell ausgestatteten Influencern mit Softbox-Lichtformer, Marketingkonzept, Management und Verhandlungsstrategien geworden.
Jetzt kann man beobachten, wie Bibi von Bibis Beauty Palace (mit rund 3 Millionen Abonnenten) eine Creme geschenkt bekommt und dann quasi live und eben nicht gescriptet das Produkt testet und dann ein „ehrliches“ Fazit setzt. Und aus dem einstigen Styling-Versuch mit einem, vielleicht zwei T-Shirts, wird ein riesiger „H&M Haul“, der 20 Minuten dauert und den gesamten Frühlingskatalog vorstellt.
Das ist schlau entwickelt und spart bares Geld. Natürlich ist es eine Investition, die blonde, lustige Bibi über die ganze Welt verteilt in den Urlaub zu schicken und ein von ihr gedrehtes Video zu bezahlen, das auf YouTube den Titel „Traumurlaub Malediven – Follow me around“ trägt. Aber die Bibi muss nur ein Foto von sich im Bikini posten, auf dem sie einen Neckermann Katalog durchblättert und hat in den nächsten 30 Sekunden so viele Likes, dass es sich für Neckermann mehr als lohnt und das Nutzeralter des Kataloges von durchschnittlich 51 Jahren radikal nach unten schießen lässt.
Alles in allem ist Branded Entertainment also ein kluges, modernes und strategisches Werbekonzept. Natürlich löst es die klassische Werbung nicht ab und ist auch nicht als Anti-Haltung zu dieser zu verstehen. Aber es ist eine gut umsetzbare Möglichkeit, die heute für den Konsumenten sehr wichtig gewordene Emotionalität eines Produktes vorzustellen und erlebbar zu machen. Das bahnt sowohl dem Werbetreibenden als auch dem Endkonsumenten einen kleinen Pfad durch den dichten Produktdschungel unserer Zeit.