Die jüngste Veröffentlichung des Erotikportals Erobella hat die traditionellen Vorstellungen über Deutschlands „Rotlicht-Hochburgen“ gehörig durcheinandergewirbelt. Im Rahmen der aktuellen politischen Debatte um ein mögliches Verbot von Sexarbeit hat das Portal einen „Redlight Index“ erstellt, der die Verteilung der Sexindustrie in Deutschland analysiert. Das Ergebnis lässt aufhorchen: Anstelle der üblichen Verdächtigen Berlin und Hamburg steht überraschenderweise eine fränkische Stadt ganz oben auf der Liste – Nürnberg.
Die Metropole an der Pegnitz wird in der Untersuchung als „Rotlicht-Hauptstadt Deutschlands“ bezeichnet und verweist damit alteingesessene „Rotlichtbezirke“ wie jene in Hamburg oder Berlin auf die hinteren Plätze. Auf den zweiten Rang schafft es Düsseldorf, das sich laut Erobella vor allem durch eine vergleichsweise hohe Zahl an Sexarbeiterinnen auszeichnet. Die Bankenstadt Frankfurt am Main komplettiert das Podium auf Rang drei. Hier scheinen sowohl Bordelle als auch unabhängige Escort-Services einen wichtigen Standort gefunden zu haben.
Womit erklärt sich diese unerwartete Spitzenposition Nürnbergs? Laut den Analysten des Erotikportals lassen sich mehrere Faktoren dafür verantwortlich machen. Zum einen profitiert die Stadt von ihrer zentralen geographischen Lage inmitten Deutschlands. Als Verkehrsknotenpunkt und wirtschaftliches Zentrum Frankens zieht Nürnberg naturgemäß viele Geschäftsreisende und Pendler an – eine potenzielle Zielgruppe für die Sexindustrie. Hinzu kommt, dass die fränkische Metropole traditionell als liberal und weltoffen gilt, was offenbar auch für den Rotlichtbereich gilt.
Darüber hinaus hat Nürnberg im Vergleich zu anderen Großstädten eine eher überschaubare Größe. Dies könnte laut Erobella dazu beitragen, dass die Sexindustrie hier konzentrierter und sichtbarer in Erscheinung tritt als anderswo. Zudem verfügt die Stadt über eine gut ausgebaute Infrastruktur, etwa durch zahlreiche Autobahnanschlüsse und einen international angebundenen Flughafen. All diese Faktoren machen Nürnberg offenbar zu einem attraktiven Standort für Bordelle, Laufhäuser und andere Einrichtungen der Rotlichtszene.
Auf den ersten Blick mag die Spitzenposition Nürnbergs überraschen, doch bei genauerer Betrachtung erscheint sie durchaus plausibel. Schließlich war die fränkische Metropole schon immer bekannt für ihre Offenheit gegenüber erotischen Themen und Vergnügungen. So zogen etwa im Mittelalter alljährlich Tausende Pilger zur „Liebesgöttin von Nürnberg“, einer Statue der Venus, um Fruchtbarkeit und Lust zu erbitten. Auch die Darstellung erotischer Motive in der fränkischen Kunst, etwa durch den Renaissancekünstler Albrecht Dürer, zeugt von einer gewissen Unbefangenheit im Umgang mit Sexualität.
Diese Tradition hat offenbar bis in die Gegenwart Bestand. Nürnberg avancierte schon in den 1970er Jahren zu einem Zentrum des Rotlichtgewerbes, als das Rotlichtviertel rund um den Frauentorgraben zu einem der bekanntesten in ganz Deutschland wurde. Noch heute ist die Dichte an Bordellen, Laufhäusern und Sex-Shops in der Stadt vergleichsweise hoch. Viele dieser Etablissements konzentrieren sich in den Stadtteilen Gostenhof, Steinbühl und Ziegelstein, wo die Rotlichtszene quasi öffentlich präsent ist.
Angesichts dieser Entwicklungen verwundert es nicht, dass Nürnberg nun an der Spitze des „Redlight Index“ steht. Zugleich wirft dies ein Schlaglicht auf die Komplexität und Vielschichtigkeit des Themas Sexarbeit in Deutschland. Denn die Ergebnisse der Erobella-Studie zeigen, dass sich die Realitäten und Wahrnehmungen oft deutlich voneinander unterscheiden. Während Städte wie Berlin und Hamburg in der öffentlichen Wahrnehmung nach wie vor als Hochburgen der Prostitution gelten, haben sich die tatsächlichen Schwerpunkte offenbar längst verschoben – hin zu Regionen wie Franken.
Vor diesem Hintergrund stellt sich auch die Frage, wie die Politik auf diese Entwicklungen reagieren sollte. Denn ein mögliches Verbot der Sexarbeit, wie es derzeit diskutiert wird, hätte vermutlich ganz unterschiedliche Auswirkungen auf die einzelnen Regionen Deutschlands. Während Großstädte wie Berlin oder Hamburg möglicherweise von einem solchen Schritt profitieren könnten, wäre er für Standorte wie Nürnberg womöglich weit einschneidender. Hier wären die Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft möglicherweise gravierender.
Letztlich zeigt die Erobella-Studie, dass das Thema Sexarbeit in Deutschland wesentlich komplexer ist, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Die traditionellen Vorstellungen von „Rotlichtvierteln“ greifen offenbar zu kurz und bedürfen einer Neubewertung.
