EZB-Chef Mario Draghi hatte im September seine umstrittene Niedrigzinspolitik vor den Berliner Bundestagsabgeordneten verteidigt. Er erklärte, dass die Geldpolitik der EZB eine Preisstabilität gewährleiste und diese habe zudem einer neuerlichen „Großen Depression“ entgegengewirkt. Laut dem Redemanuskript von Draghi heißt es, dass die Maßnahmen greifen würden und dazu beitrügen, dass sich die Erholung fortseten und Arbeitsplätze geschaffen würden. Die Maßnahmen der EZB sollen, laut Draghi, also für einen Aufschwung sorgen, von dem dann letztlich auch die Sparer und Rentner in Deutschland und im gesamten Euroraum profitieren werden.
Wer einen genauen Blick wirft, der erkennt, dass die Folgen der Nullzinspolitik desaströs sind. Denn bei dem Zins handelt es sich um den wichtigsten Steuermechanismus der Marktwirtschaft. Er bildet das Scharnier zwischen Gegenwart und Zukunft, zwischen Konsum und Kapitalbildung. Wenn dieser künstlich nach unten gedrückt wird, eben wie durch die Nullzinspolitik Draghi’s, dann gerät die Kalkulationsgrundlage der Konsumenten und Investoren ins Wanken. Fragwürdige Investitionsprojekte erscheinen durch die Bonsai-Zinsen rentabel und lenken Ressourcen in ineffiziente Verwendungen. Sinkt die Qualität des Kapitalstocks, dann sinkt zugleich auch die Produktivität und das Wachstum.
Ebenfalls werden durch die niedrigen Zinsen die Anleger in risikoreichere und auch spekulativere Vermögensklassen getrieben. Die Immobilienpreise in Deutschland beispielsweise verzeichneten im März 2016 bereits mehrjährige Höchststände und das galt auch für Anleihekurse, Sammlergegenstände (Gemälde und Oldtimer) sowie Betriebsvermögen. Sollten diese Blasen platzen, dann droht die Wirtschaft in eine weitere Krise zu stürzen.
Verlierer und Gewinner der Nullzinspolitik
Die Banken und Sparer stehen ganz klar auf der Verliererseite der Frankfurter Geldschwemme. Denn die Gewinne der Banken aus der Fristentransformation erodieren durch den schrumpfenden Abstand zwischen kurz- und langfristigen Zinsen. Damit wird ihre Fähigkeit, Eigenkapital aus eigener Kraft zu bilden geschmälert. Aus diesem Grund bleiben die Banken weiter labil und sind anfällig für neue Schocks. Durch das Verschwinden des Zinses werden die Sparer um die Erträge des Konsumverzichts gebracht. Die Folge ist, dass die Sparbereitschaft sinkt und im Alter die Armut droht.
Die Profiteure sind die Finanzminister der Eurozone. Denn sie können noch billigere Kredite aufnehmen und durch die negativen Zinsen werden sie sogar noch für das Schulden machen belohnt. Somit ist es nicht verwunderlich, dass in den Südländern niemand mehr ans Sparen und Reformieren denkt.
Ablenkungsmanöver der Union
Wenn EZB-Präsident Draghi mit Abgeordneten spricht, geschieht dies in der Regel in öffentlichen Sitzungen. Nur in Deutschland, wo die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank besonders umstritten ist, hat Draghi mit Abgeordneten des Europaausschusses hinter verschlossenen Türen geredet. Die Notenbank hat eine öffentliche Debatte gewünscht, doch die CDU wollte davon nichts wissen. Das ist ganz schwach.
Schließlich wirft die Union der EZB immer wieder eine falsche Politik vor. Ihre Nullzinspolitik sei verantwortlich dafür, dass die deutschen Sparer kaum noch Zinsen für ihr mühsam Erspartes bekommen. Schlimm! Die Geschichte vom bösen Herrn Draghi will sich die Union mit einer breiten und öffentlichen Debatte über das Für und Wider von höheren Zinsen offenbar nicht kaputt machen lassen. Die Geschichte vom bösen Herrn Draghi eignet sich auch hervorragend, um von der eigenen Verantwortung abzulenken. Natürlich kann die EZB nicht allein die Wirtschaft ankurbeln. Hier könnte der Staat mehr tun durch eine andere Wirtschaftspolitik. Doch die CDU pocht auf eine Sparpolitik in Deutschland und anderswo. Die Politik könnte auch durch gesetzliche Vorgaben dazu beitragen, dass gerade Geringverdiener höhere Löhne erhalten. Das würde vielen Menschen helfen. Die Haupteinnahmequelle der meisten Bürger sind nämlich ihre Gehälter und nicht die Zinsen für ihr Erspartes. Aber auch diese Debatte mag die CDU nicht führen.
Nullzinspolitik bleibt: Neue Daten gibt es im Dezember
Die EZB hatte den Leitzins im Kampf gegen die Mini-Inflation und die Konjunkturflaute im März für die Eurozone auf das Rekordtief von null Prozent gesenkt. In einer Sitzung im Oktober 2016 hielt sich der EZB-Rat nun die Option offen, „die monatlichen Ankäufe von Vermögenswerten im Umfang von 80 Mio. Euro bis Ende März 2017 oder erforderlicherweise darüber hinaus“ weiterzuführen. Der Rat teilte mit, dass dieses in jedem Fall so lange erfolgen soll, bis das Inflationsziel der EZB von 2 % erreicht sei. Im September 2016 lag die aufs Jahr gerechnete Inflation in der Eurozone bei 0,4 % und das stellte das stärkste Plus seit Oktober 2014 dar. Ein Grund für den Anstieg war die Entwicklung der Energiepreise, die nicht mehr so stark fielen, wie noch in den Vormonaten.
Doch das EZB-Ziel einer Teuerung von knapp 2 % liegt noch immer in weiter Ferne. Von der EZB wird davon ausgegangen, dass die Zielmarke erst 2017 erreicht wird – dann soll die Inflation rund 1,6 % betragen. Bis zu der nächsten Zinssitzung, die im Dezember stattfinden wird, werden den Währungshütern auch die neuen Inflations- und Wachstumsprognosen der hauseigenen Volkswirte vorliegen. EZB-Präsident Mario Draghi erklärte, dass man sich erst dann über den weiteren Kurs äußern könnte.
