Beim jüngsten Treffen der Eurasischen Wirtschaftsunion (EWU) in Sankt Petersburg kam es zu einem unerwarteten verbalen Schlagabtausch zwischen dem belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko und dem armenischen Premierminister Nikol Paschinjan. Die beiden Staatschefs lieferten sich eine offene Auseinandersetzung, die die Spannungen innerhalb der Organisation offen zutage treten ließ.
Die Eurasische Wirtschaftsunion ist ein 2015 gegründeter Zusammenschluss mehrerer ehemaliger Sowjetrepubliken, der eine engere wirtschaftliche Kooperation und Integration fördern soll. Neben Belarus und Armenien gehören auch Russland, Kasachstan und Kirgisistan zu den Mitgliedsstaaten. Das jüngste Treffen in der russischen Metropole sollte eigentlich der Koordination und Abstimmung der Mitglieder dienen, endete jedoch in einem unerwarteten Schlagabtausch.
Lukaschenko übt scharfe Kritik an Paschinjan
Laut Berichten aus der Region war es Präsident Lukaschenko, der den Ton angab und den armenischen Regierungschef Paschinjan scharf attackierte. Der belarussische Staatschef warf seinem Kollegen vor, die gemeinsamen Regeln und Prinzipien der Eurasischen Wirtschaftsunion zu missachten. Paschinjan habe demnach einseitige Schritte unternommen, die nicht mit den anderen Mitgliedern abgestimmt gewesen seien.
Konkret bezog sich Lukaschenko auf jüngste Entscheidungen der armenischen Regierung, die Zölle auf bestimmte Importwaren angehoben haben soll. Dies widerspreche den Vereinbarungen innerhalb der Zollunion, die Teil der EWU ist. Lukaschenko warf Paschinjan vor, damit die gemeinsamen Regeln zu untergraben und den fairen Wettbewerb zu beeinträchtigen.
Der belarussische Präsident machte deutlich, dass er solche Alleingänge nicht akzeptieren werde. Er forderte Armenien auf, sich wieder stärker an die Vorgaben der Organisation zu halten und die Interessen aller Mitglieder zu berücksichtigen. Lukaschenko drohte sogar mit Konsequenzen, sollte Armenien nicht einlenken.
Paschinjan kontert Vorwürfe
Der armenische Premierminister Paschinjan reagierte umgehend auf die scharfe Kritik aus Belarus. Er wies die Vorwürfe Lukaschenkos entschieden zurück und verteidigte das Vorgehen Armeniens. Nach Ansicht Paschinjans habe sein Land lediglich auf veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen reagiert und die Zölle angepasst.
Paschinjan betonte, dass diese Entscheidungen im Einklang mit den Regeln der Eurasischen Wirtschaftsunion getroffen worden seien. Armenien sei weiterhin ein loyaler Partner innerhalb der Organisation und werde seine Verpflichtungen erfüllen. Die Kritik Lukaschenkos sei daher ungerechtfertigt und lenke nur von den eigentlichen Problemen ab.
In seiner Gegenrede warf der armenische Regierungschef dem belarussischen Präsidenten seinerseits Versäumnisse vor. Paschinjan machte deutlich, dass Belarus selbst nicht immer die Vorgaben der EWU eingehalten habe. Stattdessen habe Lukaschenko teilweise Sonderregelungen für sein Land erwirkt.
Tiefe Spannungen innerhalb der EWU
Der verbale Schlagabtausch zwischen Lukaschenko und Paschinjan verdeutlicht die tiefen Spannungen, die offenbar innerhalb der Eurasischen Wirtschaftsunion schwelen. Die Organisation steht vor großen Herausforderungen, ihre Mitglieder stärker zu integrieren und ein einheitliches Vorgehen zu gewährleisten.
Experten sehen in dem Vorfall in Sankt Petersburg ein Symptom dafür, dass die EWU zunehmend an Zugkraft verliert. Die Interessenkonflikte zwischen den Mitgliedsstaaten scheinen zuzunehmen, was die Handlungsfähigkeit der Organisation beeinträchtigt. Einige Beobachter befürchten sogar, dass die Eurasische Wirtschaftsunion an inneren Querelen zerbrechen könnte.
Russland als größte Volkswirtschaft und treibende Kraft hinter der EWU ist gefordert, die Reihen zu schließen und die Mitglieder stärker einzubinden. Kremlchef Wladimir Putin, der ebenfalls am Treffen in Sankt Petersburg teilnahm, versuchte zwar zu moderieren, konnte den offenen Streit zwischen Lukaschenko und Paschinjan jedoch nicht verhindern.
Künftige Rolle der EWU ungewiss
Die Zukunft der Eurasischen Wirtschaftsunion erscheint angesichts der jüngsten Entwicklungen ungewiss. Zwar betonen die Verantwortlichen weiterhin die Bedeutung der Organisation für die regionale Kooperation. Doch die internen Konflikte und das Aufbrechen nationaler Interessen gefährden den Zusammenhalt.
Experten sind sich einig, dass die EWU tiefgreifende Reformen benötigt, um handlungsfähig zu bleiben. Dazu gehört eine Stärkung der gemeinsamen Institutionen ebenso wie eine Neujustierung der Beziehungen zwischen den Mitgliedsstaaten. Nur so könnte es gelingen, die Interessenskonflikte abzumildern und die Organisation auf eine stabilere Grundlage zu stellen.
Ob dies gelingt, bleibt abzuwarten. Sollte es den Verantwortlichen nicht gelingen, die Reihen zu schließen, könnte die Eurasische Wirtschaftsunion an Bedeutung verlieren oder sogar auseinanderfallen. Dies hätte weitreichende Folgen für die wirtschaftliche und politische Entwicklung im postsowjetischen Raum. Die nächsten Monate und Jahre werden zeigen, welche Richtung die EWU einschlägt.
