Oppermann: SPD darf Macht nicht verachten

Der Vizepräsident des Deutschen Bundestags und frühere Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, hat seine Partei inmitten „ihrer schwersten Krise der Nachkriegsgeschichte“ aufgefordert, sich als Regierungspartei zu verstehen, „die ihren Platz in der Regierung hat, und nur wenn es nötig ist, in der Opposition“. Mit Blick auf das vor 60 Jahren in Bad Godesberg beschlossene Grundsatzprogramm der SPD schreibt Oppermann in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Montagsausgabe), dass das Vermächtnis jenes Parteitags 1959 der „unbedingte Wille“ gewesen sei, „die SPD regierungsfähig zu machen und das Land aktiv zu gestalten“. Das sei nichts anderes als der Wille zur Macht gewesen.

Wer den Fortschritt wolle, dürfe die Macht nicht verachten. Godesberg habe der SPD den Weg in die Regierung geebnet: „60 Jahre später darf es keine Flucht aus der Verantwortung geben.“ Das Godesberger Programm sei die Basis für eine sozialdemokratische Ära und drei erfolgreiche Kanzlerschaften von Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder gewesen. Alle drei SPD-Kanzler hätten dasselbe Erfolgsrezept gehabt: „Ihnen gelang es, sehr unterschiedliche Milieus anzusprechen. Die Kassiererin im Supermarkt, der Bauarbeiter, aber auch Angestellte und Beamte wählten die SPD.“ Heute sei dieses Wählerbündnis zerbrochen, die SPD drohe ihren Status als „linke Volkspartei“ zu verlieren. Die SPD sei nicht allein wegen ihrer zehn Jahre Regierungsbeteiligung in einer Großen Koalition mit der CDU in dieser Lage. Mitverantwortlich macht Oppermann Teile der SPD, die mit der Union erzielte Kompromisse etwa beim Mindestlohn oder der Grundrente, die den Alltag vieler Menschen besser machten, kritisch bewerteten: „Mit anderen Worten: Das sozialdemokratische Glas ist nie halb voll, sondern immer halb leer.“ Oft gleiche die SPD „einer autoaggressiven Formation, die sich vorwiegend mit sich selbst beschäftigt und der jedes Selbstvertrauen abhandengekommen ist.“ Es sei alarmierend, dass die SPD bei ihrer Stammklientel, den Arbeitnehmern, deutliche Verluste erleide, und auch viele Milieus, die sie in Godesberg gewinnen konnte, abgewandert seien. Auf der einen Seite stünden die gut situierten und kosmopolitisch orientierten Teile der Gesellschaft, von denen die SPD viele nach 1968 gewonnen habe. In diesen Milieus hätten die Grünen die Meinungsführerschaft gewonnen. Auf der anderen Seite stünden jene, die sich abgehängt fühlten, die Globalisierung und Migration skeptisch gegenüberstünden und traditionelle Werte verträten. „Darunter sind viele ehemalige SPD-Stammwähler.“ Aus dieser Gruppe seien viele gar nicht mehr zur Wahl gegangen, hätten die Linke mit ihren oft realitätsfernen Versprechen gewählt oder seien zur AfD übergelaufen. Oppermanns Fazit lautet: „Die SPD wird zwischen Grünen und AfD zerrieben.“ Um die SPD „wieder auf die Beine zu bringen“ und das Vertrauen früherer Stammwähler zurückzugewinnen, forderte Oppermann seine Partei unter anderem auf, ein „überzeugendes Gesamtkonzept in der Einwanderungspolitik“ vorzulegen. Dieses Konzept müsse „zugleich realistisch und humanitär sein, damit es von einer breiten Mehrheit akzeptiert werden kann.“ Es reiche auch nicht aus, die SPD nach links zu rücken und auf die gerechte Umverteilung zu beschränken. Richtig sei zwar, dass die Sozialdemokratie die Interessen der Arbeitnehmer in den Mittelpunkt stellen müsse. „Das bedeutet, für eine starke Wirtschaft, für anständige Löhne und für eine gerechte Verteilung des Wohlstandes einzutreten.“ Gleichzeitig müsse die SPD aber auch für einen handlungsfähigen Staat sorgen, der die Menschen nicht nur vor Kriminalität schütze, sondern auch denen helfe, die ohne eigenes Verschulden ihre Arbeit verloren haben. Die SPD müsse sich auch wieder als die Partei des Fortschritts verstehen und mehr Optimismus verbreiten. Digitalisierung und Globalisierung seien nicht nur Gefahren, sie böten auch Chancen, die man gestalten müsse. Die SPD sei immer dann erfolgreich gewesen, wenn es ihr gelungen sei, Tradition und Fortschritt zusammenzudenken.

Foto: Thomas Oppermann, über dts Nachrichtenagentur

 

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