Flagge Polen

Teure Selbstfindung, Kommentar zu Polen von Detlef Fechtner

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Alle diejenigen, die den „Rechtsstaatsmechanismus“ der EU als wirkungslosen Papiertiger abgetan haben, werden gerade eines Besseren belehrt. Denn das Instrument, mit dem die EU-Kommission dieser Tage erstmals am Beispiel Polens offiziell überprüft, ob eine nationale Regierung sich an die Grundprinzipien des Staatenbunds hält, wirkt durchaus. Polens Präsident Andrzej Duda bemühte sich bei seinem Besuch in Brüssel, die Wogen zu glätten – erkennbar in der Sorge, dass der Streit eskaliert und vor allem Polen schädigt. Konsterniert muss man in Warschau nämlich registrieren, dass die eigenwillige Regierungsführung bereits kurzfristig einen hohen Preis hat.

Nach der Herabstufung Polens durch die Ratingagentur Standard & Poor’s – bekanntermaßen keine Organisation von Bürgerrechtsaktivisten, sondern ein Unternehmen zur Prognose von Ausfallwahrscheinlichkeiten – schnellten gestern die Anleihespreads in die Höhe. Das macht die Schuldenaufnahme des polnischen Staats spürbar teurer. Die Teilentmachtung des Verfassungsgerichts und der Verdacht, die staatlichen Medien lenken zu wollen, sorgen für Verunsicherung – bei Kreditgebern ebenso wie bei Investoren. Und da mancher ohnehin besorgt ist, weil Polen im Verdacht steht, nachträglich Wechselkursrisiken auf Banken abzuwälzen, muss Polen befürchten, dass das Vertrauen in die Verlässlichkeit des Standorts generell schwindet.

Diejenigen, die das Land etwas näher kennen, beschreiben die politischen Ereignisse in Warschau als Ausdruck einer Identitätssuche. Im Tauziehen zwischen Tradition und Moderne, zwischen europäischer Integration und polnischem Nationalismus bemüht sich das sechstgrößte Mitglied der EU um seine politische Standortbestimmung – und wie üblich geht eine solche Selbstfindung einher mit zwischenzeitlichen Irrläufen.

Noch entwickelt sich das Land wirtschaftlich dynamisch und wird von den meisten EU-Partnern um sein Wachstum beneidet. Erodiert jedoch das Vertrauen in den Standort, könnte sich das ändern. Die Regierung ist daher gut beraten, sich selbst umgehend auf jenen konstruktiven Dialog einzulassen, den Präsident Duda in Brüssel einforderte. Bereits heute hat Regierungschefin Beata Szydlo die Chance, ihre Gesprächsbereitschaft unter Beweis zu stellen. Denn sie trifft – anders als Duda – nicht auf einen ohnehin wohlgesinnten Landsmann wie den EU-Ratspräsidenten Donald Tusk. Sie muss sich vielmehr im EU-Parlament auf einen wesentlich unbequemeren Empfang einstellen.

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