Diät: vom Fleischesser zum Schrittzähler

Von Kalorien, Personenwaagen oder gar ihrem Body-Mass-Index (BMI) wussten die Menschen im frühen 19. Jahrhundert noch nichts. Heute dagegen kennen die meisten Menschen ihr Gewicht und wissen, welches Essen gesund ist. Manche vermessen sogar ihren gesamten Alltag von den gelaufenen Schritten bis zu den täglich konsumierten Kalorien. Zwischen diesen beiden Trends liegen nur wenige Jahrzehnte, in denen sich die Einstellung der Menschen zu diesem Thema stark verändert hat. Die Kulturwissenschaftlerin Prof. Dr. Maren Möhring von der Universität Leipzig will dieses Phänomen gemeinsam mit Kollegen anderer deutscher Universitäten in einem von der VolkswagenStiftung finanzierten Projekt untersuchen. Passend zum Thema wird am Samstag (7. März) der Tag der gesunden Ernährung begangen.
Das Forscherteam, zu dem neben Möhring auch der Historiker Prof. Dr. Jürgen Martschukat von der Universität Erfurt sowie der Medizinsoziologe Prof. Dr. Olaf von dem Knesebeck vom Universitätsklinikum Hamburg -Eppendorf und die Soziologin Prof. Dr. Paula-Irene Villa von der Ludwig-Maximilians-Universität München gehören, hat vor kurzem die Förderzusage für ihr dreijähriges Vorhaben in Höhe von einer Million Euro bekommen. Der Titel des interdisziplinären Projektes ist: „Ernährung, Gesundheit und soziale Ordnung in der Moderne: USA und Deutschland“.
„Wir wollen historisch aufarbeiten, wie sich die  heutigen Selbstverständlichkeiten im Verhältnis zum eigenen Körperentwickelt haben. Uns interessiert der Prozess der Entwicklung der individuellen Verantwortung für die eigene Gesundheit“, erklärt Möhring. Sie betrachtet das Thema Ernährung und Gesundheit aus sozial- und kulturwissenschaftlicher Sicht über die vergangenen Jahrzehnte und wird dabei auch von Medizinern der Universität Leipzig unterstützt, vor allem bei der Betrachtung von Essstörungen. Ein Promotionsprojekt am Institut für Kulturwissenschaften wird sich zudem mit den Ernährungstrends zwischen 1850 bis 1930 befassen, als einerseits Fleisch stark angesagt war, sich andererseits als Gegenbewegung der Vegetarismus ausgebildet hat. Dafür wird in Tagebüchern recherchiert werden, was die Menschen damals gegessen haben. Ein zweiter Doktorand vergleicht im Rahmen des Projektes die Ernährung der Menschen in der DDR und der Bundesrepublik in den 1960er bis  1980er Jahren.
Der Erfurter Historiker Martschukat untersucht ein ähnliches Themenfeld in den USA zwischen 1860 und 1920. „Wir untersuchen die Themen Ernährung und Gesundheit in Deutschland und den USA, um dann auch nationale Unterschiede, aber auch Wechselwirkungen zwischen den Ländern feststellen zu können“, sagt Maren Möhring. Die Münchner Soziologin Villa geht in ihren Forschungen für das gemeinsame Projekt unter anderem der Frage nach, wie das Thema Übergewicht in den USA in Deutschland wahrgenommen wird, und untersucht transatlantische Formen der Gesundheits- und Fitnessorientierung. Der Medizinsoziologe Olaf von dem Knesebeck aus Hamburg initiiert eine repräsentative Befragung von Menschen in den USA und Deutschland zu den Schwerpunkten Ernährung/Übergewicht/Gesundheit, deren Ergebnisse ebenfalls in das Projekt einfließen. „In den USA und Deutschland ist das Schlanksein erst seit dem späten 19. Jahrhundert en vogue“, berichtet Möhring. Seither werde in der Gesellschaft auch ein direkter Zusammenhang zwischen Schlankheit und Erfolg gesehen.
Da es sich bei dem von der VolkswagenStiftung geförderten Projekt um ein sogenanntes Schlüsselthema für Wissenschaft und Gesellschaft handelt, wollen die Wissenschaftler dieses Projektes auch frühzeitig die interessierte Öffentlichkeit in ihre Arbeit einbeziehen. „Wir wollen aus unserem Elfenbeinturm herauskommen und in die Gesellschaft hineingehen“, sagt Möhring. So sind neben Veröffentlichungen zu dem Thema unter anderem auch Workshops mit Adipositas-Experten und Podiumsdiskussionen für den interdisziplinären Austausch geplant. Zu diesen Veranstaltungen ist dann auch die interessierte Öffentlichkeit eingeladen.

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