Flüchtlingspolitik: Wann folgt der erste Rücktritt in Deutschland? (Teil 5)

Seit dem 22. November 2005 ist Merkel nun schon Bundeskanzlerin. Bis vor kurzem war ein Rücktritt der gefühlt ewigen Regierungschefin kaum denkbar – auch nicht für Horst Seehofer. „Wenn wir die Wahl gewinnen wollen, dann nur mit ihr als Kandidatin“, sagte der CSU-Chef noch Mitte Juli letzten Jahres. Jetzt gehört er zu Merkels ständigen Kritikern und es scheint, als säge er bereits an ihrem Stuhl. Seehofer könnte bei einem Rücktritt von Merkel eine Schlüsselrolle zufallen. Seit Ende Juli diesen Jahres ist der Streit um die Flüchtlingspolitik zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer in einer neuen Runde: Merkel hatte ihren vieldiskutierten Satz „Wir schaffen das“ bekräftigt, woraufhin sich Seehofer erneut mehrfach distanzierte. Er mache Merkel zwar nicht für den islamistischen Terror verantwortlich, aber auf diese Herausforderung müssten noch Antworten gegeben werden, so Seehofer. Rückhalt bekam die Kanzlerin bislang nur von der SPD: Fraktionschef Thomas Oppermann griff Seehofer an und bezeichnete dessen Kritik als völlig „deplatziert“. Stimmen aus den eigenen Reihen ließen auf sich warten. Nach zehn Jahren im Amt steht Merkel an einem Scheideweg, politisch wie persönlich. Wer hält da noch zu ihr? Die Liste wird immer kürzer.

Faymann-Rücktritt ein Warnsignal

Der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz sieht im Rücktritt des österreichischen Bundeskanzlers Werner Faymann auch ein Warnsignal für Deutschland. Nach massiver Kritik an seiner Amtsführung hatte Faymann im Mai seinen Rücktritt als Regierungschef wie auch als Vorsitzender der Sozialdemokraten (SPÖ) erklärt. Damit zog er auch die Konsequenzen aus der krachenden Niederlage seiner Partei bei der Präsidentschaftswahl, bei der die FPÖ triumphierte. Werner Faymann ist das bislang bedeutendste politische Opfer der Flüchtlingskrise. Der Rücktritt des österreichischen Kanzlers ist eine Botschaft an andere europäische Führer, die der Versuchung erliegen könnten, die Grundprinzipien der EU zu opfern aus Angst, Terrain an den Populismus der extremen rechten zu verlieren. Österreich hatte in der Flüchtlingsfrage zunächst die Politik der Öffnung und Integration der Merkel-Regierung in Deutschland unterstützt, dann aber eine Wende zu einer harten Linie vollzogen. Dafür zahlt die Regierung nun den Preis. Faymanns Kurswandel hielt den Vormarsch der populistischen Rechten nicht auf, führte aber zu einem Vertrauensverlust bei den fortschrittlichen Wählern. Zugeständnisse an den ausländerfeindlichen Populismus stoppen diesen nicht, sondern legitimieren dessen Parolen.

Der Abgang von Österreichs Bundeskanzler beunruhigt die Berliner Regierungskreise. Zu Recht. Denn man sieht, wie schnell die Flüchtlingskrise Köpfe fordern kann und Regeln ändert.

Mit David Cameron verliert Merkel einen Unterstützer

Großbritannien hat sich für den Brexit ausgesprochen, weil eine Mehrheit das Versagen der EU nicht mehr hinnehmen will. Dazu hat die Kanzlerin mit ihren Alleingängen bei den Flüchtlingen maßgeblich beigetragen. Diesem Angstreflex konnte Premier David Cameron nicht genug entgegensetzen. Deshalb hat er zu Recht die Konsequenzen aus diesem Ergebnis gezogen und im Juni seinen Rücktritt erklärt. Er ist der Premier, der Großbritannien nicht ins Zentrum Europas führte, sondern der Premier der Großbritannien aus Europa hinauskatapultiert hat. Zum Verhängnis wurde ihm dabei die deutsche Kanzlerin. Deren Performance in der Flüchtlingsfrage im vergangenen Spätsommer hat diese Ängste aufkommen lassen. In Europa herrschte Kontrollverlust und Unordnung. Im Zentrum dieses vorübergehenden Kontrollverlustes eines Staatsgebildes und einer Staatengemeinschaft: Deutschland. Dieses Thema, die Migration und das vorübergehende Flüchtlingschaos in Europa, dominierte deshalb den gesamten Wahlkampf um den Brexit. Deswegen: Dieser Brexit ist auch Merkels Brexit.

Weitere Rücktritte könnten folgen

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel kämpft angesichts miserabler Umfragewerte um sein Amt. In einer Sitzung der SPD-Bundesfraktion sprach Gabriel die Debatte in der SPD über seine mögliche Ablösung bereits offen an. „Ich würde gehen, wenn ich glauben würde, dass es der SPD hilft“, versicherte er. SPD-Kreise versicherten jedoch, bei Gabriels Äußerungen handele es sich nicht um indirekte Rücktrittsdrohungen. Der SPD-Vorsitzende selbst wies in der Sitzung darauf hin, dass die schwierige Lage der SPD nicht von Personen abhänge. Vielmehr hätten beide Volksparteien in der Folge der Flüchtlingskrise rund ein ein Fünftel ihrer Wähler verloren.

Wie geht es mit Merkel weiter

Nach der Rückkehr aus der Sommerpause kann Angela Merkel die aktuelle Stimmung testen. Es hat sich schließlich einiges angestaut. Die Attentate von Würzburg und Ansbach liegen nur wenige Wochen zurück. Sie haben Merkel eine neue Debatte darüber beschert, ob ihre Flüchtlingspolitik das Land verwundbar gemacht hat. Dazu der Amoklauf von München – die Deutschen sind verunsichert im Angesicht der brutalen Gewalt. Glücklicherweise ist Deutschland vorerst nicht von weiteren islamistischen Attentätern heimgesucht worden. Doch die Sicherheitsdebatte ist damit nicht vorbei. Merkel selbst hatte Ende Juni einen vagen Neun-Punkte-Plan für mehr Schutz vor Anschlägen präsentiert. Inzwischen hat Innenminister Thomas de Maizière mit einem Sicherheitskonzept nachgelegt. Doch vielen geht das nicht weit genug. Die CSU fühlt sich Merkels neuerliches „Wir schaffen das“-Mantra provoziert. Auf Ausgleich auf dem außenpolitischen Parket kann Merkel derweil auch nicht mehr hoffen. Die Kanzlerin muss sich an ihrem internationalen Krisenmanagement messen lassen. Im Dezember will Merkel bekannt geben, ob sie noch einmal als Kandidatin für das Bundeskanzleramt antreten wird. Eines ist jetzt schon klar: Einige Politiker und Politikerinnen sind seit Jahren und Jahrzehnten an der Macht. Es wäre gut für Deutschland, wenn Amtsperioden begrenzt würden und jüngere Generationen frischen Wind nach Berlin brächten.

Teil 1: Die Willkommenskultur ist gescheitert
Teil 2: Ist Deutschland auf dem Weg zum Überwachungsstaat?
Teil 3: Wir schaffen das …
Teil 4: Tabuthema – Sexuelle Übergriffe durch Migranten
Teil 5: Flüchtlingspolitik: Wann folgt der erste Rücktritt in Deutschland?
Teil 6: Merkel: Erschreckend alternativlos

Foto: Angela Merkel, über dts Nachrichtenagentur

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