Am 31. August 2015, bald schon vor einem Jahr, war Bundeskanzlerin Angela Merkel vor die Bundespressekonferenz in Berlin getreten, um zu erklären, wie sie die Flüchtlingskrise bewältigen will. Dabei fiel der berühmteste Satz ihrer Kanzlerschaft: „Wir schaffen das!“ Seither ist viel geschehen, in atemlosem Tempo. Massenhafte Flucht, Krieg, Terror, Amok. Doch die Umstände, unter denen dieses „Wir schaffen das“ damals ausgesprochen wurde, haben sich dramatisch geändert. Im August 2015 waren Flüchtlinge Opfer von Schleppern und rassistischen Angriffen. Seit Juli 2016 sind Flüchtlinge auch Täter. Die Islamisten von Würzburg und Ansbach kamen als Asylbewerber. An die Stelle der Sicherheit für die Flüchtlinge, ist einer Debatte über die Sicherheit vor den Flüchtlingen getreten. Einfach nur zu sagen „Wir schaffen das“, reicht hier nicht mehr aus.
Masseneinwanderung über Kontinente hinweg
Knapp zwei Millionen Menschen sind 2015 neu nach Deutschland gekommen. Der Wanderungssaldo erreichte einen Rekordstand von 1,14 Millionen. Das ist der höchste jemals gemessene Wanderungsüberschuss von Ausländerinnen und Ausländern in der Geschichte der Bundesrepublik. Mehr noch als die Zahl an sich sorgt die geänderte Struktur der Zuwanderung für Aufregung. Im vergangenen Jahrzehnt wanderten vor allem Arbeitskräfte aus EU-Mitgliedstaaten nach Deutschland. Sie kamen eher vorübergehend als dauerhaft. Vor allem aber waren sie Christen, manche protestantisch, andere katholisch, einige orthodox. Nun jedoch, seit zwei drei Jahren, suchen Flüchtlinge aus weiter Ferne und ganz anderen Kulturkreisen in Deutschland Zuflucht. Sie verhalten sich anders, haben ein unterschiedliches Wertesystem und kommen aus Staaten, die den Rechtsstaat westlicher Prägung mit gleichen Grundrechten für alle weder kennen noch respektieren. Vor allem aber sind sie anderer Religion – die meisten sind Muslime.
Das Fremde bei Kultur und Religion provoziert besondere Befürchtungen. Es verängstigt jene, die durch Globalisierung und Digitalisierung ohnehin schon verunsichert sind. Viele sorgen sich, durch offene Grenzen und das weltumspannende Internet die Kontrolle über den gewohnten und vertrauten Alltag zu verlieren. Nun sehen sie die kulturelle, religiöse und nationale Identität zusätzlich in Gefahr und befürchten, im eigenen Land zu einer Minderheit zu werden.
Sicher: Die Flüchtlingszuwanderung nach Deutschland ist eine gewaltige Herausforderung für Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Wenn, wie 2015, fast 1,1 Millionen Personen in Deutschland um Asyl baten, ist das auch für ein wohlhabendes Land keine Bagatelle. Selbst wenn bei Weitem nicht alle Gesuche bewilligt werden und viele Flüchtlinge freiwillig weiterziehen oder nach Hause zurückkehren, wird bei einer Bruttozuwanderung von fast zwei Millionen Menschen – also etwa der Bevölkerung der Metropolregion Hamburg – eine gewaltige Integrationsleistung zu erbringen sein.
Merkel bricht das Verfassungsrecht
Österreich und Ungarn machen die Bundesregierung mitverantwortlich dafür, dass immer mehr Flüchtlinge in die EU reisen. Zentraler Kritikpunkt ist die Aussetzung des Dublin-Abkommens für syrische Flüchtlinge. Eigentlich müssen Flüchtlinge ihre Asylanträge in dem EU-Land stellen, das sie auf ihrer Flucht als erstes betreten haben. So schreibt es das Dublin-Abkommen vor. Doch im Oktober 2015 erklärte das Bundesamt für Migration, dass diese Regelung für Flüchtlinge ausgesetzt werde. Das bedeutet: Das Asylverfahren von syrischen Flüchtlingen wird von Deutschland betreut, auch wenn die Betroffenen vorher in einem anderen EU-Land waren. Diese radikale Grenzöffnung ist im Prinzip nichts anderes als ein historischer Rechtsbruch. Der Verfassungsrechtler Udo di Fabio kommt nach juristischer Prüfung zu einem erschütternden Befund: Die Bundesregierung bricht mit ihrer Weigerung, die Landesgrenzen umfassen zu kontrollieren, eindeutig Verfassungsrecht.
Szenarien? Deutschland war nicht vorbereitet
In der Flüchtlingskrise hat es einige politische Fehler gegeben. Deutschland war nicht in der Lage, die Menschen, die gekommen sind, schnell genug zu registrieren und zu verteilen. Die Verfahren sind zu langsam in Gang gebracht worden, weil Deutschland personell und organisatorisch nicht darauf vorbereitet war. Die Republik wurde kalt erwischt. Dabei war Berlin lange gewarnt und hätte entsprechende Szenarien vorbereiten können. So chaotisch die Koalition in der Gegenwart agiert, lief die Politik bereits in der Vergangenheit. Bereits Anfang letzten Jahres lagen der Regierung bereits deutliche Warnungen über einen rasanten Anstieg der Flüchtlingszahlen auf dem Tisch. Sicherheitsdienste, Botschaften, Länderministerien, Städte und Kommen, deutsche und europäische Behörden funkten permanent nach Berlin, dass sich Deutschland auf einen Massenansturm vorbereiten müsse. Doch die Regierung blieb passiv. So lief die politische Führung des Landes sehenden Auges in eine der größten Krisen in der Geschichte der Republik.
Ein weiteres Problem der Zuwanderung ist die Unterscheidung zwischen Menschen, die wirklich Hilfe brauchen und denen, die bereits mit kriminellem Hintergrund illegal nach Deutschland einreisen. Besonders die falsche Toleranz gegenüber kriminellen Flüchtlingen führt unter der deutschen Bevölkerung zu massivem Vertrauensverlust. Anstatt an diesem Punkt anzusetzen und eine Lösung herbeizuführen, werden Flüchtlingsgegner einfach pauschal als Nazis und Fremdenhasser abgestempelt. Dabei ist es Fakt, dass es immer wieder zu kriminellen Handlungen durch Flüchtlinge kommt. Dies schwächt die in der Bevölkerung vorhandene Hilfsbereitschaft für alle Asylbewerber – auch für die, die sich integrieren und einfach nur ein ruhiges uns sicheres Leben in Deutschland führen wollen.
Integration bleibt die große Aufgabe
Was man der Regierung vorwerfen kann: Sie hat in den vergangenen Jahren die Augen davor verschlossen, dass die Asylbewerberzahlen wieder steigen. Jetzt werden Kapazitäten bei der Integration benötigt – trotz aller Anstrengungen liegt die Hauptaufgabe noch vor uns. Wo sollen die Leute leben? Wie sollen sie in den Arbeitsmarkt integriert werden? Wie können sie ein eigenverantwortliches Leben führen? Dazu sind Bildungsmaßnahmen notwendig, und die Hemmschwelle bei Unternehmen muss gesenkt werden. Diese Aufgabe hat die Politik unterschätzt. Es ging bislang nur um die Aufnahme. Aber viele Flüchtlinge werden bleiben und sich dauerhaft einrichten. Integration wird die große Daueraufgabe der nächsten Jahre, eine Aufgabe, die die Kanzlerin den Deutschen (und Europa) praktisch im Alleingang zugemutet hat.
Teil 1: Die Willkommenskultur ist gescheitert
Teil 2: Ist Deutschland auf dem Weg zum Überwachungsstaat?
Teil 3: Wir schaffen das …
Teil 4: Tabuthema – Sexuelle Übergriffe durch Migranten
Teil 5: Flüchtlingspolitik: Wann folgt der erste Rücktritt in Deutschland?
Teil 6: Merkel: Erschreckend alternativlos